Ruminarium

Zurschausstellung meiner Grübeleien


„Müsste man auch mal machen“ – Das Leben im Konjunktiv

Es fällt mir wirklich nicht leicht, einen passenden Text auszusuchen, um den Blog wirklich zu starten. Es gibt derer wirklich viele Kandidaten, aber alle haben ein so spezifisches Thema, dass sie sich meiner Meinung nach nicht eignen als ersten Artikel. Deshalb habe ich mich entschieden, meine aktuelle Situation zu nutzen und dazu ein paar taufrische Gedanken zu sammeln.


Wenn man sich länger mit Menschen unterhält, kommt man oft irgendwann zu dem Punkt, an dem es heißt: „Oh, das müsste man eigentlich auch mal machen.“ oder „Das wollte ich schon immer mal tun.“ oder aber, noch schlimmer: „Das hätte ich auch gern mal versucht!“.

Ich habe schon als Jugendlicher erkannt, dass danach oftmals Ausreden folgen. Keine Zeit, die Kinder, die Arbeit, die Gattin. Es könnte zu gefährlich sein. Was denken denn die Leute von mir? Ich hatte immer das Gefühl, dass die Menschen versuchen, bestimmte Sachen vor sich selbst zu rechtfertigen. Es wird häufig versucht, Gründe anzuführen, warum man seinen Hintern nicht hochbekommt oder hochbekommen hat und doch lieber den Abend daheim vor dem Fernseher verbracht hat. Das war halt in dem Moment bequemer, einfacher, entspannter.

Dagegen ist eigentlich auch nichts zu sagen. Es ist vollkommen ok, sich zu entspannen und auf dem einfachstmöglichen Weg dahin treiben zu lassen. Niemand sollte sich jemals etwas anderes einrrden lassen!

Doch viele Menschen, denen ich im Laufe des Lebens begegnet bin, sind irgendwann damit vollständig zufrieden. Immer genau bis man in einem Gespräch an oben genanntem Punkt anlangt. Vielleicht dreht sich dieses Gespräch um verborgene Wünsche, um Träume oder Ideale, die man als junger Mensch einmal hatte oder vielleicht ist es auch einfach nur ein Bericht eines Freundes von einem tollen Urlaub.

Ich war schon immer neugierig. Ich habe es schon immer genossen, Dinge auszuprobieren – in einem gewissen Rahmen. Links in die Gasse abbiegen, anstelle stur dem Navi zu folgen. Sich in den Schlamm schmeißen, um den andere herum rennen. Ich habe es schon immer gehasst, im Konjunktiv zu leben. Wenn es hieß: „Eigentlich müsste man mal …“, antwortete ich oft genug: „Ja!“ und schaute, wie man es bewerkstelligen konnte. Manche Menschen stempeln einen dann schnell für verrückt ab. Das sind oft genug Menschen, die zwar träumen können, sich aber nie selbst darum kümmern, aus dem eigenen Trott auszubrechen. Die abendliche Couch dient nicht mehr der Erholung, sie ist unvermeidbarer Bestandteil des Tagesablaufs. Und genau diese Menschen landen im Konjunktiv. Sie sehen tolle Landschaften im Film, kämen aber niemals auf die Idee, sich dort selbst einmal umzusehen. So etwas habe ich schon immer gehasst.

Ich war eigentlich schon immer so, seit ich denken kann. Und seit ich erwachsen bin und Geld verdiene, halte ich es noch mehr mit Die Ärzte:

Als Kind bin ich in die Bruce Lee-Filme gerannt,
Jetzt habe ich das Geld um im KungFu-Verein zu sein
Als Kind hab‘ ich mir oft die Finger verbrannt,
Und jetzt habe ich das Geld mich mit Asbest zu bekleiden

In meinem Flur steht Captain Kirk,
Gleich neben Monsterfußpantoffeln
Unter einem Comicberg,
Liegt die Formel für Wasserstoff

Ellenlange Diskussionen, ob denn so Erwachsene wohnen,
Werden sich bei mir nicht lohnen
Ich bitt‘ euch mich zu verschonen
Denn jetzt bin ich endlich groß und die Hölle bricht los
Gut, dass ich erwachsen bin

– Die Ärzte – Der Infant

In den letzten Jahren habe ich mir vieles gegönnt, von dem ich früher nur träumen konnte. Ich liebe es, mir Kindheitsträume zu erfüllen. Aber ich liebe es auch, mir neue, erwachsenere Träume zu leisten und darauf hin zu arbeiten. Diese Erfüllungen sind für mich die Essenz des Lebens, die Meilensteine, für die man eigentlich arbeitet. Höhepunkte des Lebens macht man sich selbst. Man ist selbst dafür verantwortlich, dass man letztlich auf ein erfülltes Leben zurück schauen kann, niemand sonst.

Aber ich gebe auch klar zu, in den letzten Jahren habe ich es übertrieben. Ich war zu ehrgeizig, zu viele zu große Ziele, die Kraft, Nerven und Zeit und letztlich sogar einen Teil der Gesundheit gekostet haben. Ich muss klar sagen: Ich bin jetzt an meinen Grenzen. Der Körper steckt Stress, auch selbstgemachten, nicht mehr so ohne Weiteres weg. Ich brauche eine Pause von großen Projekten, vor Wunscherfüllungen mit zu viel Stresspotential und ungewissem Zeithorizont. Ich muss mich zwingen, ruhiger zu werden, zumindest in der nächsten Zeit, und muss mir auch längere Pausen gönnen – die Kehrseite der vielen Erlebnisse.

Am Ende hat Paracelsus mal wieder Recht. Denn auch hier macht die Dosis das Gift. Ich bereue kein einziges Mal die Entscheidung, abgewichen zu sein – auch wenn es oft genug eine doofe Entscheidung war. Und ich werde es immer wieder tun, weil diese Abweichungen mir viele Sachen beigebracht und gezeigt haben, die man sonst niemals lernen oder sehen könnte. Und gute Geschichten sind es letztlich sowieso immer. Und doch ist es am Ende der Körper, der entscheiden muss. Ich lerne gerade, dass der Ehrgeiz seinen Tribut verlangt. Ich lerne gerade, dass mehr Ruhe auch eine ganz besondere Erfahrung sein kann. Ich lerne gerade, dass es in Ordnung sein muss, nicht immer nach dem nächsten großen Traum zu streben. Ich lerne gerade, dass der Körper nicht unendliche Reserven hat. Ich lerne gerade, dass Erholung nicht immer Langeweile bedeutet. Ich lerne gerade, dass die Couch durchaus eine Option ist, auch wenn es noch viele Konjunktive zu beseitigen gibt.

Und auch das ist nun eine ganz neue Erfahrung, die es zu machen gilt. Und ich glaube, dass der Weg dahin für mich wirklich schwer werden wird, das Lernen und Aushalten von Ruhe. Aber auch dieses Ziel werde ich hoffentlich irgendwann erreichen. Wäre doch komisch, wenn ich am Ende sagen müsste: „Ach hätte ich mir mal Ruhe gegönnt.“



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.