Ruminarium

Zurschausstellung meiner Grübeleien


Filmkritik: Der Junge und der Reiher

© Studio Ghibli

Vor einigen Wochen hatte ich den Trailer zum neuen Hayao Miyazaki-Film gesehen und war sofort begeistert. Ein Must-Have. Zwischen den Jahren wurde der Film in Berlin in einigen Kinos leider nur in japanischem Originalton gespielt, aber Studio Ghibli-Filme leben von ihrer visuellen Pracht, deren Genuss ich nicht an das Lesen von Untertiteln verloren gehen lassen wollte. Also musste ich mich noch ein wenig gedulden.

Ich glaube, ich bin erst sehr spät zu Anime-Filmen bzw. -Serien gekommen. Zu lange hatte ich mich dogmatisch gegen „diesen immer gleichen Stil“ gewährt, was einerseits völliger Humbug ist, weil es schlicht nicht wahr ist, dass alle Animes gleich aussehen und auch weil es ein Nonsens-Argument ist, betrachtet man meine Liebe für stilistisch oft ziemlich gleich geartete Disney-Filme.

Als wir gestern in den Film gingen, hatte ich eigentlich keinerlei Erwartungen bezüglich der Handlung. Zu unterschiedlich waren die vorigen Ghibli-Filme und zu unverherrsehbar die Fantasie für eine westlich geprägte Vorstellungskraft. Ich ließ mich vollständig überraschen. Und ich wurde nicht enttäuscht.

Miyazaki liefert mal wieder. Der Film ist ein Feuerwerk aus fantastischen Elementen, spannender Story – und natürlich unfassbar tollen Bildern. Wie in nahezu jedem seiner Filme könnte man sekündlich das Bild anhalten und ertrinken in der wahnsinnigen Detailverliebtheit der Hintergründe. Aber dazu bleibt nur selten Zeit. Unerbittlich wird die Handlung vorangetrieben, immer wieder gilt es, eine Wendung nicht zu verpassen. Dies wird insbesondere erschwert durch die gewohnt absurden Figuren – die asiatische, insbesondere japanische Mythologie mit ihren Geisterwesen, die uns oft fremd, sogar bedrohlich vorkommen können, standen auch hier wieder Pate für die am Ende doch spannenden, vielschichtigen, tiefgründigen und oft überraschend liebenswürdigen Charaktere. Ob diese am Ende wirklich in gut oder böse nach unseren Maßstäben unterschieden werden können, muss der Zuschauer letztlich oft für sich selbst entscheiden.

Und genau das ist es, was ich an Animes, insbesondere aus dem Hause Ghibli, so unfassbar spannend finde. Bei Disney ist es in den allermeisten Fällen sehr einfach, Gut und Böse zu trennen. Nur selten gibt es diesbezüglich echte Überraschungen. Hier allerdings muss man sich darauf gefasst machen, dass der eigentlich gut gepolte Kompass schnell durcheinander gebracht werden kann.

Der Junge und der Reiher ist ein weiteres Meisterwerk und ausnahmslos zu empfehlen für alle, die etwas mit Miyazakis früheren Werken, wie Chihiro, Totoro, Nausicäa oder Das wandelnde Schloss anfangen können. Der Film ist keineswegs leichte Kost und es wird auch nicht vor schwierigen Fragen oder gar Blut zurück geschreckt. Aber am Ende ist es wie immer, ein ganz zauberhaftes Märchen, das sicherlich noch weitere Male gesichtet werden muss, um die Handlung und die Bildgewaltigkeit vollständig erfassen zu können. Wenn ich eine Sache benennen müsste, die mir nicht zusagte, dann ist es die für mich persönlich stilistisch etwas zu unangemessen alberne Darstellung der Sittiche. Aber das ist natürlich Meckern auf maximalem Niveau.

Absolute Empfehlung.



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