Ruminarium

Zurschausstellung meiner Grübeleien


Filmkritik: Der König der Löwen (2019)

Dieser Text entstand am 20.07.2019 und wurde dann irgendwo auf meinem Server vergessen.


Vorweg für alle, die mich nicht näher kennen: Ich kann sicherlich mit Recht behaupten, einer der größten König-der-Löwen-Nerds unter dem großen blau-schwarzen Ding zu sein. Ich habe den originalen Film von 1994 (und dessen Nachfolger) sicher viele Dutzend Mal gesehen, kann die deutsche Fassung großteils auswendig rezitieren und die englische immerhin zu einem extrem hohen Prozentsatz mitsprechen. Und ich trage stolz für jeden sichtbar einen tätowierten Timon auf dem Arm.

© Disney

Für mich ist der originale 1994er Film der absolut perfekteste Film, der jemals geschaffen wurde. Für mich hat dieser Film absolut keine einzige Schwäche. Ich liebe jede einzelne Sekunde, jedes einzelne Bild, jeden Charakter, jede Farbe, jeden Ton an ihm. Die Handlung, der Bildaufbau, der Sound, die Musik und sogar die Songs sind großartig. Der Film vermag es, in seiner Laufzeit von nicht einmal 90 Minuten alle denkbaren Emotionen abzurufen – Freude, Wut, Trauer, Komik. Insbesondere lebt der Film aber von seinen sehr liebevollen Dialogen, und das meine ich stellvertretend für die originale als auch die deutsche Synchronisation. Es wurde seitens Disney damals sehr viel Arbeit investiert, die nicht-englischen Besetzungen stimmlich und inhaltlich so nah wie möglich am Original zu halten, ohne aber die jeweiligen sprachlichen Eigenheiten zu untergraben. Und so sitzt auch im Deutschen jeder Gag.

Mit diesem Wissen wird schnell klar, warum es mir eigentlich absolut unmöglich ist, ein faires, gerechtes und vor allem objektives Review des Remakes zu schreiben. Deswegen wollte ich genau dies auch nach dem ersten Sehen nicht. Doch ich habe zu viele Gedanken, die ich eigentlich mit niemandem in meinem direkten Umfeld teilen kann, weil niemandem der Film so derart wichtig ist, wie mir selbst. Ich würde mich lediglich nicht verstanden fühlen. Deswegen schreibe ich diese Gedanken jetzt nach dem Sehen der englischen Originalfassung doch einfach auf. Vielleicht kann ich mich verständlich machen. Vielleicht interessiert sich ja irgendjemand dafür.

Eines möchte ich gleich am Anfang vorweg nehmen: Das Life Action-Remake macht wirklich unglaublich viel richtig. Und höchstwahrscheinlich werden sehr viele weniger Lion-King-affine Zuschauer den Film lieben. Bei ihnen könnte er die selben Emotionen und Gänsehaut auslösen, wie es bei mir zum Beispiel beim grandiosen Die Schöne und das Biest-Remake von 2017 der Fall war. Und das zu Recht!

© Disney

Die Animationen hat Disney mittlerweile absolut perfektioniert, das habe ich aber schon beim Dschungelbuch-Remake (2016) gesagt, das ja aus der Hand des gleichen Regisseurs ist. Nach dem ersten Sehen vom König der Löwen vorgestern hätte ich sogar die Animationen des Dschungelbuchs intuitiv besser eingeschätzt. Das muss ich allerdings heute revidieren, wo ich etwas mehr Zeit und Blicke für die Details hatte. Die Tiere sind einfach atemberaubend realistisch. Die Fell- und Federtexturen, die Bewegungen, die Interaktionen mit der Umwelt, dem Gras und dem Wasser… Wenn sie nicht reden würden oder sich in komplett unrealistischen Konstellationen befinden würden, könnte man das in der Tat für eine gefilmte Dokumentation halten. Es ist unglaublich, was da geschaffen wurde. Und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, hat Disney es geschafft, diesen realistischen Tieren dennoch irgendwie die komplette Bandbreite menschlicher Emotionen in die Gesichter zu zaubern – natürlich bei Weiterbestehen der realistischen Täuschungen. Bereits beim Zeichentrickfilm hat man ja sehr viel Zeit und Mühe in die Studien realistischer Bewegungen und Verhaltensweisen der einzelnen Tiere gesteckt. Schon damals wollte man, dass die Charaktere vor allem als Tiere wahrgenommen wurden. Ich erinnere mich an ein Making-Of, in dem lange diskutiert wurde, wie man bei allem Realismus dennoch menschliche Emotionen, Mimik und Gestik einbauen kann, ohne lächerlich zu wirken. Dass sie dies geschafft haben, ist kein Geheimnis. Doch dieses Remake führt diesen Ansatz bis in allerletzte Konsequenz weiter. Konnte Scar im Original noch eine Pfote in Allmachtsphantasie gen Himmel strecken oder Timon aufrecht wie ein Mensch laufen oder Pumbaa an einer Liane schwingen oder beherrschte Rafiki heimlich Kampfkunst, ist hier auf all dies komplett verzichtet worden. Vergleichbare Aktionen sind lediglich auf die Mimik beschränkt, die – ich wiederhole mich – paradoxerweise dennoch stets realistisch wirkt. Ganz großes Kino, im wahrsten Sinne. Es lohnt sich wirklich, allein der Animationen wegen, diesen Film auf möglichst großer Leinwand zu schauen.

Wie nah ist das Remake nun am Original? Sehr nah, extrem nah. Stellenweise zu nah. Schon der Prolog macht sofort in aller Deutlichkeit klar, dass keine Abweichung, keine Freiheit, keine eigene Interpretation gewünscht wird, wie Regisseur Jon Favreau es noch im Dschungelbuch tat. Und es tat dem Dschungelbuch damals wirklich gut, mit frischen, teils tiefgründigeren Szenen und Interpretationen aufzuwarten. Aber der Prolog vom König der Löwen ist absolut bis auf den kleinsten Bildauschnitt, die letzte Schärfeneinstellung, jede einzelne Tierbewegung, jede einzelne Umweltbedingung eine Kopie des Originals. Beeindruckend und beängstigend zugleich. Denn der Prolog ist damit ein Versprechen für die Einen, eine Drohung für die Anderen: Die einen erwarten nun den originalen Film mit etwas mehr Fell und freuen sich darauf – die anderen befürchten genau dies. Dass das Versprechen nicht zu einhundert Prozent wahr gemacht wird, ist aber schon in der Folgeszene zu erkennen, in der der Maus, die Scar sich letztlich zum Mittagessen einzuverleiben gedenkt, sehr viel Raum und Zeit gegeben wird. Sicherlich vor allem, um jetzt schon zu zeigen, was animations- und bildtechnisch möglich ist, und auf welch hohes technisches Niveau sich die Zuschauer freuen können.

Ich mache es an dieser Stelle kurz: Der Film ist natürlich zu einem sehr hohen Prozentsatz identisch mit dem Original. Die Handlung ist bis auf den letzten Dialog die gleiche, keine Überraschungen. Natürlich ist die Laufzeit durch sehr viele ausführlichere Bildeinstellungen etwas erhöht, auch ließ es sich Favreau nicht nehmen, einige kleine Zwischensequenzen hinzuzupacken oder leicht umzustricken. Alles im Rahmen und alles völlig im Sinne des Films. Es gibt da keine Schwächen, nichts, was man als „unnötig“ oder gar „zerstörend“ titulieren würde (ich denke da mit Schaudern an den unsäglichen neuen Song Morgenreport in der so genannten Special Edition der Zeichentrickfassung, der aus dem Musical 1:1 in den Film gesetzt wurde und die komplette Stimmung versaut hat). Ich gehe sogar so weit, einige Szenen als gewinnbringend zu betrachten. So mag ich die erweiterte Scar/Sarabi-Szene beispielsweise sehr gern. Auch die Einstellung, in der der junge Simba durch die Wüste irrt, ist emotional sehr gut eingesetzt worden. Richtig gelungen finde ich die sehr lang ausgebreitete Szene, in der der Fellfetzen Simbas zu Rafiki transportiert wird. Sie kommt mit viel Humor, aber durchaus nicht unrealistisch und dennoch mit sehr viel Feingefühl zur eigentlichen Dramatik daher. Sehr gut gemacht!

Auch die Entscheidung, auf alles – ich nenne es mal „magische“ – zu verzichten, ist aus meiner Sicht nur konsequent. Durch die noch strengere Auslegung des Tier-Realismus ist es nur folgerichtig, dass auch Dinge wie die Farbänderungen bei Just Can’t Wait To Be King oder der Wochenschau-Look bei Be Prepared weggelassen werden musste. Das erhöht die Dramatik, und macht natürlich entsprechende Skript-Änderungen notwendig. Zazu kann jetzt nicht mehr durch eine einstürzende Tier-Pyramide abgehängt werden und Hyänen kochen ihr essen sicherlich nicht mehr über heißen Quellen. Richtig spannend wird dies aber, wenn man bedenkt, dass eine der wichtigsten Schlüsselszenen im Original in genau diese „magische“ Kategorie fällt. So ist es interessant zu sehen, wie sich die Macher bei der Wolken-Szene Mufasas beholfen haben. Ich hatte tatsächlich Angst, aber diese Szene entpuppt sich als absolutes Glanzstück und stellt für mich den absoluten Höhepunkt dar. Natürlich gibt es die Wolke, aber sie hat genauso natürlich keine Löwenform. Nur durch geschickt eingesetzte Lichteffekte eines Wetterleuchtens lässt sich das Gesicht eines Löwen im Himmel erahnen. Perfekt!

Richtig glücklich bin ich auch mit der Umsetzung von Timon und Pumbaa. Da Timon natürlich mein absoluter Favorit ist, hatte ich entsprechende Befürchtungen vor dessen Umsetzung. Aber was soll ich sagen, das Gespann ist herzallerliebst, vielleicht sogar noch besser – in jedem Fall aber sympathisch frischer – als das Original. Ich liebe es, die beiden in Aktion zu sehen. Das realistischere Erdmännchen und sein Warzenschwein-Kumpel haben es auch diesmal drauf, zu den Lieblingen des Films zu avancieren, gerade auch weil Timon die Menschlichkeit (im Sinne der Bewegungen) genommen wurde. Auch habe ich absolut nichts dagegen, dass die Dschungel-Gang um ein paar Freunde ergänzt wurde.

Doch warum habe ich vorneweg einen solchen Disclaimer gesetzt, wenn alles tipptopp ist, so wie man es sich gewünscht, erträumt, aber nicht zu hoffen gewagt hatte? Weil dem nicht so ist. Ja, die Bilder, die Animationen, die Charaktere sind großartig umgesetzt. Jedoch gibt es einige, vielleicht nur kleine Dinge, die mich stören. Beispielsweise, dass Ed reden kann. Ich liebe dieses vordergründig Dümmliche, aber bei genauerem Blick doch nicht Unintelligente des Originals. Seltsam fand ich auch, auf welche Art und Weise Zazu von den Löwenjungen abgehängt wurde: Die ganze Zeit bleibt er trotz des Chaos der anderen Tiere an den beiden dran – und am Ende verwirrt ihn nur ein kleiner Vogelschwarm? Sehr schade – weil auch komplett unnötig – fand ich auch Mufasas Nachfrage, wo denn Sarabi sei. Zur Antwort wurde ihm zugerufen, dass sie bereits gegen die Hyänen ziehe. Im nächsten Schnitt kommt aber die bekannte Szene, in der Sarabi, die ja eigentlich jagen war, ihren Sohn wäscht. Warum dieser, die Kontinuität brechende Satz zusätzlich eingebaut wurde, ist mir nicht klar. Unnötig war für mich auch das eingebaute Hintergrundlied bei der Reise Simbas zurück nach Pride Rock. Aber das sind sicherlich alles nur Kleinigkeiten, über die man gut hinweg sehen kann.

© Disney

Doch was mich wirklich stört, das sind die Dialoge. Nochmal zur Erinnerung: Ich kenne die Originaldialoge in- und auswendig. Und hier hat sich das Remake aus meiner Sicht absolut keinen Gefallen getan, diese zu ändern, zumindest nicht an den Stellen, wo der Film mit den Bildern eine Kopie vorgaukelt. Wir reden ja hier nicht von einer Neuinterpretation des ursprünglichen Stoffes, sondern wirklich – wie bereits beschrieben – großteils von einer absolut identischen Inszenierung des Originals. Wenn also bis zum letzten Grashalm, bis zum letzten Augenzwinkern alles vom Original abgekupfert wurde, warum wurden dann nicht auch die Texte originalgetreu verwendet? Ja, die gesprochenen Inhalte sind zwar nach wie vor identisch, doch der sprachliche Ausdruck hapert hier und da gewaltig. Natürlich war mein erster Eindruck der der deutschen Synchronisation. Und hier hat es mich kolossal geärgert, dass die Texte nicht nur einfach geändert wurden, sondern auch noch ihrer Eleganz, ihrer Wortvielfalt beraubt wurden – vielleicht um moderner zu klingen, oder um schlicht vereinfacht zu werden. So ungefähr müssen sich die Liebhaber der 1989er-Originalsynchro von Arielle gefühlt haben, als sie die 1998er-Synchro vorgesetzt bekamen. Gleicher Inhalt, aber plattere Wortwahl. Hier hätte die Originaltreue der Bilder in die Texte transferiert werden müssen, aus meiner Sicht.

Bevor ich dem kompletten Film Unrecht täte, wollte ich erstmal schauen, ob es generell der Film ist, oder nur die deutsche Synchronfassung. Auch deswegen habe ich ihn mir heute noch einmal in der Originalfassung angesehen. Tatsächlich sind in der englischen Fassung mehr Texte originalgetreu erhalten geblieben. Genau genommen, sind mir nur einige wenige Abweichungen negativ aufgefallen. Aber diejenigen, die nicht original geblieben sind, sind leider ebenso „aufgeweicht“ worden (z.B. „I can’t see anything.“ statt „That’s just my reflection.“).

Dass also sogar die vielen original gebliebenen Texte nicht direkt in die deutsche Synchro übertragen wurden, ist mir schlicht ein Rätsel. Warum greift man nicht auf eine bereits existierende, extrem gute Synchronisation zurück, sondern macht sich die Mühe einer Neuübersetzung? Mit deutlich schlechterem Ergebnis? Die Vereinfachung des Wortschatzes erscheint mir ein wenig als Anbiederung an die vorherrschende sehr simple Social-Media-Sprache. Damit verliert der Film für mich einen Stück kulturellen Wertes.

Und somit schließe ich mit dem Fazit: Es ist wirklich kein schlechter Film, es gibt wieder tolle, alle Emotionen bedienende Stellen (was habe ich gelacht bei der eingebauten Schöne und das Biest-Referenz, ohne spoilern zu wollen) und ohne Vorbelastung wird man sehr zufrieden sein mit dem Film. Die Säle waren voll und die Leute augenscheinlich sehr glücklich. Die Zuschauer gingen immer voll mit. Das war wirklich schön zu sehen. Dennoch würde ich auf nichts in der Welt das Original eintauschen wollen. Ich sehe das Remake mehr als Ergänzung eines wunderschönen, perfekten Films.



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