Geocaching-Log für den seit fast 10 Jahren archivierten Köpenick Extrem I (GC342ZG). Zuerst auf erschienen auf geocaching.com im August 2012.
Vorwort
Bevor ich zum eigentlichen Logtext komme, hier eine kleine Erläuterung.
Bei diesem Cache handelte es sich um eine ca. 30km lange Runde rund in Berlin-Köpenick, dessen einzelne Stationen nur zu Wasser erreichbar waren. Deswegen bot sich eine Paddeltour an, die meisten Stationen wären aber auch motorisiert machbar gewesen. In der Regel wurden diese von den meisten Cachern so peu-a-peu über einen längeren Zeitraum erledigt…
Prolog: „Be The First One“
Es war einmal vor langer langer Zeit, als die Welt noch in Ordnung und ich noch Student war. Da hatte ich Zeit ohne Ende und dachte so bei mir: „Och, wie schön wäre es, wenn man mal der Berliner mit den meisten T5-Logs wäre.“ (Anm., Geocaching-Slang; Der T-Wert (Terrain) bezeichnet die Schwierigkeit, an den Cache zu kommen von 1 bis 5, wobei 1 als rollstuhltauglich gilt und 5 nur mit spezieller Ausrüstung machbar, wie einer Kletterausrüstung oder einem Boot. Inoffiziell manchmal auch als HCC, als Hardcore-Caches, bezeichnet) Also zog ich aus, den anderen Bekloppten das Fürchten zu lehren. Und so purzelten die HCC-Punkte die Statistik hinauf. Gemütlich und gemächlich erledigte ich alle T5er in Berlin. Bis auf einen…
Und dann zog ich aus Berlin weg, genau als der heutige T5-Lege-Wahn erst so richtig begann und so sollte ich das Ziel wohl nie erreichen. Doch dieser eine hier, mit dem hatte ich noch eine Rechnung offen…
Phase I: „Ist es noch weit?“
Da kam es also günstig, dass Geo-Link diesen irgendwann später mal ebenso ins Visier nahm. Und es kam noch später, dass er günstig ein Kanu erwarb. Also so ein bisschen jedenfalls. OK, er reservierte es. Zum Leihen. Und was macht man mit so einem Kanu? Richtig, etwas, das man mit unserem löchrigen Billigschlauchboot nicht kann: Kanufahren nämlich.
Und wo fährt sichs toll? Also, in Köpenick beispielsweise… Haben wir gehört. Irgendwoher. Über streng geheime Kanäle. Ehrlich!
Also machten wir einen Plan. Nun, kein Plan überlebt die erste Feindberührung. Also machten wir noch einen Plan, mit dezimierter Protagonistenstärke. Und voller Elan.
Boot abgeholt, irgendwann vor dem Aufstehen, so gegen 10.30h. Und rauf aufs Wasser.
Elan? ELAN? Wer hat hier was von – wie hieß das doch gleich? Immerhin schon 200m gepaddelt, als es hieß: „Isses noch weiiiit?“, „Ich hab Hunger!“, „Ich will nen Pony!“. Nix da.
Argwöhnisch wurde also unser Treiben beobachtet. Aus der Luft, von Land und vom Wasser. Haubentaucher, Enten, Reiher und auch zwei Fischadler kreuzten unseren Weg. Und ein paar Ruderer, die zwar gut aussahen in ihrer Montur, aber alle 3m anhalten mussten, um nach dem Weg zu fragen. Gut, dass da zwei gut gerüstete, und – wie wir später lernen sollten – gut aussehende junge Männer mit HighTech-GPS-Geräten vorbei kamen.
Wir befanden uns mittlerweile irgendwo im Nirgendwo hinterm Kleinen Müggelsee und kauften dort in Klein Venedig gedanklich eine nette kleine Hexenhütte nach der anderen. Ob irgendwo dort auch unsere späteren Bekanntschaften wohnten?
Phase II: „Fast wie zuhause“
Irgendwann plante ich nicht nur mein zukünftiges Traumhaus, nein ich entdeckte auch eine Marktlücke, wie man es finanzieren könnte: Imbisse am Wasser! Bis wir gendwann leider jemanden entdeckten, der es gehörig verstand, Zukunftsvisionen fein säuberlich in dünne Scheibchen zu schneiden. Zur Strafe fuhren wir einfach an ihm vorbei und kaufen nichts. Wäre ja, noch schöner. Komm, Nase, wir gehen!
Irgendwie haben wir dann doch noch dort angehalten, nachdem wir einen kleinen Schlenker für die erste Station nach 10km Paddeltour erledigten. Man konnte dort sehr nett mit anderen Kanuten zu plaudern. Tolle Gesichter kann man da zaubern:
„Wie? Ihr wollt die ganz große Runde machen? HEUTE NOCH?“ Es war mittlerweile 12h und ja, wollten wir.
Noch ein Eis und dann ritten wir wieder los. Oder so ähnlich. Interessant wurde es dann, als Steuermann Geo-Link irgendwann meinte, dass wir uns wieder von der nächsten Station entfernten. Ach, Mist! Die letzte Station war mit Absicht an dem Abzweig angebracht? Kurz überlegt, zu schummeln, und das Kanu 300m querland (ich melde hiermit ein Erfinderrecht des Wortes „querland“ an!) zu tragen. Nix da, das Ding soll gepaddelt werden, also wird gepaddelt. Alle Maschinen volle Kraft zurück! Machte dann etwa 3km zusätzlich.
Aber wir wurden entschädigt. Die Ruhe, die im Gosener Graben herrschte, war phänomenal. Wenn man mal ein wenig tiefer reinfuhr, war man tatsächlich der einzige Bekloppte weit und breit. Die Landschaft erinnerte mich stark an meine ursprüngliche Heimat. Hach ja, ich muss mal wieder im Spreewald Rentnerkähne umschubsen gehen.
Phase III: „Schummeln like a sir!“
Als wir wieder – nicht ohne gehörigen Kulturschock ob der Plötzlichkeit des Wechsels – in der Zivilisation bei lauter fremden, nicht selten auch motorisierten, Fremdbooten landeten, meldeten sich so nun langsam die ersten Wehwehchen – außer natürlich bei mir. Klar.
Eine ganz schlimme Idee ward gebohren. Also so richtig übel böse. Ich wage es gar nicht, sie auszusprechen. Der Teufel persönlich gab sie uns ein! Das war so eine von den fiesen kleinen Biestern mit den fiesen kleinen Beißerchens, die sich – einmal geboren – irgendwo im hinterletzten Fitzelchen des Hirns festbeißen können und nie wieder verschwinden. Diese eine Idee nannte sich Igor und meinte zu uns:
„Hallo Meister! Ihr seht ja schon tragisch abgekämpft aus. Ich habe ein Mittelchen dagegen!“
In freudiger Erwartung von harten Drogen und einem Hubschrauber horchten wir auf. Leider wurden wir enttäuscht.
„Schaut euch um!“, sprach er, „Überall nette kleine Motoren. Wollt ihr euch nicht von jemandem ein paar Kilometer mitziehen lassen?“
Fies, nicht wahr? Doch dann sahen wir ein anderes Boot. Keines mit Motor. Nein, reine Muskelkraft. Ein Boot wie unseres. Und tatsächlich machte es genau die gleiche Tour. Was die konnten, konnten wir schon lange – und vergaßen vorerst die Schummelei und zogen wieder kräftig an.
Wir überholten sie schnurstracks. Und wie wir uns gerade so selbst huldigten, diese Schummler ohne fremde Hilfe überholt zu haben, kam auch schon Station 3 in Sicht. Naja – irgendwie. Heldenmutig wie ich war, koordinierte ich einen erweiterten Schlachtplan und schickte meinen Steuermann hinunter ins dunkle Tief und überwachte einsam und vollstem Edelmut seine Arbeit. Leider war sie nicht von Erfolg gekrönt. Und das andere Boot mit den vermutlich lachenden Dritten war lange weg. Nix mehr mit Motivation.
Wir schleppten uns weiter. Und was müssen wir dabei elegant ausgesehen haben! Denn unerwarteter Weise drehte plötzlich eine alte Yacht mit noch älterer Besatzung bei und nahm uns in den Schlepp, geblendet von unserer puren Herrlichkeit. Eine Chance zum Widerspruch gab es nicht.
Doch irgendwie hatten die beiden… ähm… Damen… eine andere Vorstellung von „Abschleppen“. Denn nach kurzer Zeit kamen sie ab vom geplanten Kurs und ankerten einer kleinen Bucht. Zwangspause.
Nun gut, so ganz ungelegen kam die nach 25km nicht. Nach gefühlten zehn Monaten auf hoher See war es nett, mal wieder mit einer Menschenseele reden zu können. Bis sie sich auszogen…
„Aaaah… Ich werde BLIND!“, war der Gedanke, der den anderen Fiesling von vorhin zu verscheuchen vermochte, aber irgendwie noch fieser war. Hm, das hieß: Gute Miene zum abgekarterten Spiel! Wir sprangen also mit den… ähm… Damen… ins Wasser, erfrischten uns, und sahen zu, dass wir Wasser gewannen, als sie uns dann doch ein Stück zu nahe kamen. Nix wie weg! Von wegen noch mal auf dieses Boot, nixda! Wir paddelten um unser Leben. Nie wieder abschleppen!
Phase IV: „Rennen mit der Zeit“
Passender Weise führte die uns die Strecke direkt in die sportlichen Regattabahnen Grünaus. Nichts konnte so treffend unsere Lage unterstreichen, wie diese Bahnen und die Tribünen, die in meinen Gedanken voller jubelnder Fans war. Nur für uns! Auch der Reiher war unter den Gästen.
Doch auch nach dem 3km-Sprint durften wir uns keine Pause gönnen. Die Sonne stand mittlerweile gefährlich weit unten. 3h noch, und der Bootsverleih schloss. Schloss nicht nur seine Pforten, sondern auch uns aus. Tragisch gestrandet, so fern von Strand. Elendiges Schicksal würde uns dazu verdammen, ewig auf dem Wasser zu treiben. Ja, Todesangst konnte man das nennen. Todesangst, die uns dazu trieb noch kräftiger durchzuziehen.
Hat aber nix gebracht. Langsam waren wir trotzdem.
Nun langsam ist nicht rückwärts. Und so veränderte sich die Umgebung noch einmal. Schlösser säumten unseren Weg, edle Brücken, fein angezogene Menschen. Ja, manche mögen das für eine Hochzeit gehalten haben. In Wahrheit haben sie sich nur für uns so herausgeputzt.
Eine Pause musste noch gemacht werden. Station 4. Essen. Durchatmen. Willen. Tanken. Es war notwendig und doch vielleicht ein Fehler. Denn dieser eine Fieslang im Kopf erwies sich doch als hartnäckiger als gedacht. Er war weder weg noch tot. Er war nur leicht verwundet und war im Begriff, sich wieder aufzurappel. Mit noch größeren Zähnen und noch süßerer Stimme. Und die Zeit war auf Igors Seite. 1h hatten wir noch. 4km waren noch zu absolvieren.
Der Steuermann riss hartherzig das Ruder rum. Wir mussten alles geben um dem grausamen Schicksal zu entgehen. Nur eine winzige Chance. Und Igor schrie. Kreischte. Säuselte. Abschleppen!
Doch er hat seine Rechnung ohne mein Ego gemacht (Darf ich vorstellen? Ego-Welt, Welt-Ego.) Ein Kampf, dessen Erschütterungen noch in Tokio zu hören sein mussten. Ein Kampf, dessen Schwingungen der wahre Grund für die gute Landung von diesem Mars-Dingens war.
Die Zeit rann weg. Die Kraft von Ego auch. Ebenso das Tageslicht. Doch auch die Kilometer.
Keine Zeit zum Denken. Keine Kraft zum Denken. Alles war auf Arme und Ego gerichtet.
1-2-1-2-2… Mist verpaddelt. 1-2-1-1… So wird das nix! KONZENTRATION!
Und dann waren wir wieder auf dem Müggelsee. Wir konnten das Ziel sehen. Der Champus-Korken krachte. Die Herzen hüpften. Jedes Motorboot wurde ausgelacht. Nicht mehr hinterhergeweint. Igor verkroch sich wimmernd. Gleich sollten wir es geschafft haben. Gleich gingen wir in die Annalen des Neu-Heldentums ein. Für uns würde ein neuer Tempel auf dem Olymp geschaffen.
Die letzten 1,5km legten wir dann tatsächlich im roten Licht der untergehenden Sonne mit unserer Startgeschwindigkeit von 6,5km/h von vor 9,5h zurück. Und das als absolute Paddel-Amateure nach 35km Wasserstrecke!
Epilog
Der Final in diesem Seitenarm in Köpenick war dann nur noch Kür. Wir holten ihn im Anschluss. Zwar ein wenig schade, dass wir den Umweg aus Zeitgründen nicht mehr per Boot gemacht hatten, doch nichtsdestotrotz schön. Genauso wie das große Radler hinterher. Verdammt, kann so ein Glas schwer sein!
Zuhause war ich tot. Toter ging nicht. Der komplette Folgetag wurde im Bett verbracht. Kaum Kraft, einen Stift zu halten. Aber wir waren Helden. Ernsthaft!
Danke schön.
PS: Und Geo-Link war ein eigentlich ein Top-Steuermann, ehrlich!
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