Ruminarium

Zurschausstellung meiner Grübeleien


Ederseetalsperre, 2022, Teil 1

Der Edersee ist ein Stausee in Nordhessen. Hin und wieder, an besonders trockenen Sommern, leert er sich so, dass man in weiten Teilen auf dessen Grund spazieren gehen kann. Dabei werden sogar Ruinen alter Gebäude, sogar Grabplatten eines Friedhofs, sowie eine immernoch gut erhaltene Brücke freigelegt.

Diesen Umstand machte sich ein Geocacher zunutze und legte doch drei Geocaches, die nur ab bestimmten Niedrigpegeln zu absolvieren sind. Den ersten kann man recht regelmäßig im Sommer erreichen, aber für den dritten braucht es schon einen extrem tiefen Pegel, der wohl nur sehr selten erreicht wird. Im Oktober nach dem Dürresommer 2022, nur ein paar Tage nach damaligem Jahrestiefststand, witterten wir unsere Chance und machten uns zu zweit auf den Weg…

Quelle: wasserstand.edersee.me

Diese Texte erschienen zuerst als Geocaching-Logs im Oktober 2022.


Ein WIG (Anm., Kurzform für Wherigo, ein besonderer Cache-Typ, der im Normalfall über mehrere Stationen und Aufgaben führt, diese aber nur digital anzeigt.), nur dann spielbar, wenn eine Talsperre „ausgetrocknet“ ist? Wie cool ist das denn bitte? Zum Zeitpunkt der Planung befanden wir uns mitten in der historischen Sommerdürre 2022 und die angezeigten Pegelstände fielen rapide. Das Wetter schien noch auf längere Zeit so zu bleiben und die Idee, hier die Teile 1 bis 3 zu spielen war geboren.

Es wurde langsam September und auch dieser näherte sich seinem Ende, was bedeutete, dass unsere Tour demnächst startete. Ein letzter Blick auf die Pegelstände. Tatsächlich schien der Tiefpunkt erreicht, ja mehr noch: Die Pegelstände stiegen wieder leicht, sodass der empfohlene Wert für Teil 3 leider schon wieder überschritten wurde. So ein Mist. Ein wenig deprimiert ging ich in die Tour, hatte ich mir doch hier sehr viel versprochen. Im Laufe der Woche wurde jedoch klar, dass wir mit dem restlichen Programm so schnell durchkamen, dass wir einen Tag frei hatten. Wathosen waren an Bord, das Wetter war traumhaft, also wagten wir den Start trotzdem. Einfach mal gucken.

Der „Indian Summer“ hatte Deutschland fest im Griff. Die Bäume links und rechts der Straßen zeigten sich in ihrer farbenfrohesten Pracht, die Sonne schien gülden auf sie hinunter. Schon bei der Anfahrt wollte ich LupiMus permanent zurufen: „Anhalten, Fotomotiv!“. Doch dann würden wir wohl heute noch auf einer der Serpentinen stehen, fürchte ich. Der erste Blick auf den Edersee war dann ein ganz anderer. Während ringsum froheste Farbenpracht herrschte, hingen über dem frühmittaglichen See noch Dunst und Wolken. Hier konnte ich nicht anders und zwang den Fahrer dann doch zu einem Nothalt. Die Grenze zwischen See und Wolken war nicht auszumachen und mittendrin ein einsamer Angler auf dem Rest des Wassers. Noch war mir gar nicht klar, was genau ich hier fotografierte. Erst als ich wieder hinauf stiefelte zur Straße, klickte es in meinem Kopf und ich registrierte: Ich stand bereits am Ziel. Dies hier war der Edersee und ich sollte später an dieser Stelle noch einmal vorbei kommen.

Am Start angekommen übermannte mich eine freudige Emotion in einer Intensität, die ich lange nicht gespürt hatte. Die Vorfreue war kaum auszuhalten. Ich konnte sie nicht mehr kanalisieren und jede Sekunde, die LupiMus brauchte, um sich wanderfertig zu machen, schien eine halbe Ewigkeit zu dauern. Links und rechts vom Parkplatz waren Landschaften zu erspähen, die in ihrer Einzigartigkeit und herbstlichen Farbenpracht einfach magisch wirkten. Auch anderen erging es ähnlich, überall Fotoapparate und freudige Wanderer.

Und dann waren wir wirklich da. Ein erster Blick von oben, dann hin zum ersten Denkmal. Ich hatte die Cartridge (Anm., Die digitale Datei zum Spielen des WIG, s.o.) schon ungeduldig mit den notwendigen Informationen gefüttert und konnte es kaum abwarten, bis LupiMus die Zahl da auch endlich einhackte. Ich wollte DA hin. DA RUNTER! JETZT SOFORT!

Ich war vor einigen Jahren in Neuseeland unterwegs und halte diesen Trip für das Beste, was mir je passiert ist. Bis heute schwärme ich von der grandiosen Ausnahmelandschaft dort, gerade auf der Südinsel. Als ich nun die Stufen hinab zum Grund des trockenen Sees hinabstieg, hatte ich plötzlich ein Déja-Vu: Hier sah es aus wie dort drüben, nur irgendwie in Miniatur, versteht sich! Ich bekam Gänsehaut. Ich war glücklich und dieses Glück musste raus. Mit freudetränenden Augen stieß ich einen Schrei aus und rannte los. Einfach los.

Innerhalb von Sekunden waren dutzende Fotos geschossen, der Akkustand des Handys nahm schon zu Beginn der Tagestour besorgniserregende Zustände an. Ich hatte das Gefühl, dass LupiMus mir gar nicht so richtig folgen konnte, aber es war mir in dem Moment egal. Diese pure Freude über diese Landschaft, die Freude über dieses unser Hobby, das uns dies ermöglichte zu sehen, diese Flashbacks nach Neuseeland, diese besondere Art von Lost Places, all dies fiel so zusammen, dass mein Hirn nur noch ein einziger Matsch puren Glücks wurde.

Ich will nicht sagen, dass ich mich irgendwann gefangen habe, vielleicht war ich es auch gar nicht selbst, sondern LupiMus, der nun seinerseits eine gewisse Zielstrebigkeit an den Tag legte, deren Fehlen ich eben, oben an der Straße, noch an ihm bemängelte. Jedenfalls machten wir uns nun auf zu der ersten Aufgabe und bestaunten die Brücke. Das erste, was mir auffiel, war wie sauber sie war. Für ein Bauwerk, das häufig, vielleicht sogar die meiste Zeit, unter Wasser lag, war sie erstaunlich sauber. Wird sie geputzt, wenn sie auftaucht oder hält ein Unterwasserstrom sie frei von Algen und Schlamm? Ich weiß es nicht. Doch was ich weiß, dass auch hier augenblicklich der Gedanke nach Neuseeland zurück kam, mit seinen Ebenen, durchzogen von schmalen Strömen und an deren Grenzen sich hohe Berge türmten. Natürlich war das hier alles viel kleiner, aber der Gedanke daran ließ sich nicht von der Hand weisen. Und dieser Gedanke machte mich glücklich.

Wir streiften nach Erledigung der ersten Aufgabe noch ein wenig hin und her, machten unzählige Fotos und kehrten letztlich zum Auto zurück. Was für ein Auftakt!

[to be continued…]



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