Ruminarium

Zurschausstellung meiner Grübeleien


Molli

Als ich den Geruch wahrnahm, leuchteten meine Augen auf. Ich bemerkte ihn schon einige Minuten bevor wir eigentlich am Ziel waren. Zart nur lag er in der Luft und doch so durchdringend, dass er kaum zu ignorieren war. Es war ein dreckiger, beißender Geruch und doch gibt es nur Wenig, das besser riecht. Ein Geruch von Abenteuer.

Als wir an diesem Morgen aufstanden, wussten wir noch nicht, was der Tag für uns bereithielt. Auch dann noch nicht, als wir mit gepackten Koffern aufbrachen in unseren kleinen, wohlverdienten Erholungsaufenthalt oben an der Ostseeküste.

Erst an der S-Bahn-Station – wir hatten noch ein paar Minuten Zeit – prüfte Sie nochmals die Verbindungen – und wurde stutzig. Mir sind die konkreten Verbindungen meist relativ egal, Hauptsache ich musste nicht endlos in einem wackligen Bus rumsitzen. Doch irgendetwas in ihrem Blick brachte mich dazu, aufzuhorchen.

„Können wir dort eigentlich mit unseren Tickets einsteigen?“, fragte Sie. Ich schaute nicht genau hin und wollte gerade entgegnen, dass es wohl ziemlich unwahrscheinlich wäre, dass es irgendein reguläres Verkehrsmittel gäbe, das uns dort oben mit unseren Tickets nicht mitnehmen würde. Doch der Satz blieb mir im Halse stecken und ich begann über das ganze Gesicht zu grinsen.

„Das ist absolut egal! Ich will das da fahren!“

Es stellte sich heraus, dass das letzte Stück zwischen Bad Doberan und Kühlungsborn tatsächlich noch von einem kleinen Dampfzug befahren wird. Und das als völlig reguläres Verkehrsmittel! Die Mecklenburgische Bäderbahn betreibt dort tatsächlich eine kleine Schmalspurbahn mit Dampflok, die einmal stündlich pendelt – die Molli.

Natürlich gab es da keine Frage, natürlich musste das gefahren werden, völlig egal, was das kosten würde. Tatsächlich stellte sich heraus, dass das Deutschlandticket dort selbstverständlich auch gilt, wenn auch mit einem kleinen Tagesaufschlag von zehn Euro.

Die Molli ist ein lustiger kleiner Zug. Wo sich anderswo Straßenbahnen durch enge Einkaufsstraßen winden, pfeift und qualmt in Bad Doberan eine kleine Dampflok. Für Touristen und Bahnliebhaber fraglos ein toller und ungewöhnlicher Anblick, für die Anwohner wohl eher nicht so, schätze ich.

Dieser Zug bietet wirklich das gesamte Ambiente, das man sich so vorstellt: Es gibt einen lustigen Schaffner, es gibt Gestank und tränende Augen, insbesondere, wenn man auf den offenen Plattformen vor und hinter den süßen Reisezugwagen steht. Sogar die Weichen müssen noch von Hand gestellt werden, mit Ausnahme vom Bahnhof Heiligendamm, wo es noch ein kleines Hebelstellwerk mit langen Seilzügen längst der Bahnsteige gibt, um den Gegenzug sicher vorbei lassen können – denn es sind tatsächlich zwei Züge auf der Strecke im Einsatz, um den Stundentakt halten zu können. Einzig das Tablet des Schaffners zum Abrechnen der Tickets passte nicht so ganz ins Bild.

Schnell las ich alles, was es auf die Schnelle zu lesen gab. Zum Beispiel, dass besagtes Hebelstellwerk zu DDR-Zeiten sogar noch Ausbildungsstätte für Stellwerker war. Auch erfuhr ich, dass man wohl die Strecke nicht nur im Reisezugwagen machen könnte, sondern sogar beim Lokführer (und Heizer) direkt vorn in der Lok. Eine Mitfahrt in einer Dampflok? Shut up and take my money!

Tatsächlich gab einen freien Termin, der passender gar nicht hätte sein können, nämlich direkt am Tag unserer Abreise. Natürlich war an Ruhe nicht zu denken. Schon fast eine Stunde vor Start waren wir am Bahnhof. Und stolz wie Bolle präsentierte ich dann dem Lokführer meine Berechtigung, bei ihm einsteigen zu dürfen. Beim Lokführer!

Was für ein Erlebnis! Es war wirklich spannend zu sehen, wie der Heizer unermüdlich die Kohlen in den Ofen schaufelte, und wie der Lokführer allerlei Rädchen und Hebel bediente. Und ich musste einsehen, dass das lustige Pfeifen gar nicht so einfach ist, wie es immer klingt. Aber ich vermute, die verschreckten Rehe auf dem Feld werden mir das erbärmliches Gekreische wohl inzwischen wieder verziehen haben, das ertönte, als ich es selbst einmal versuchen durfte.

Ich stank noch den ganzen Tag nach Feuer und Rauch, das Gesicht war übersät mit Ascheresten und ich trug sie stolz wie eine Kriegsbemalung bis wir wieder zuhause waren. Aber ich sehe auch ein, dass dieses Erlebnis für mich als Tourist zwar ein großes, spaßiges Abenteuer war, aber sich zu vergegenwärtigen, was für einen gesundheitsschädlichen Knochenjob die beiden Menschen dort tagtäglich verrichten, das nötigt mir jeden Respekt ab – mehr noch, als ich sowieso schon vor jedem anderen Lokführer habe. Ich fragte unterwegs, wie man denn eigentlich auf die Idee käme, hauptberuflich Dampflokführer zu werden.

„Ich wollte in der Gegend bleiben. Und eine andere Lok fährt hier nun einmal nicht. Also blieb dann nicht so die große Wahl, nicht wahr?“

Die Molli ist wahrhaft eines der spannendsten regulären Verkehrsmittel, das ich jemals sah. Ich finde spannend, dass sie in dieser Art von Betrieb gehalten wird, auch wenn ich jeden Anwohner und Mitarbeiter im Grunde ein wenig bemitleide. Vielen Dank also an alle, die dieses Erlebnis dennoch möglich machen oder gütig erdulden!



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