Es muss so um das Jahr 2008 gewesen sein. Es klingelte vermutlich mal wieder an der Tür der WG und vermutlich hatte der Paketbote ein Paket unter dem Arm. Sicher ist jedenfalls, dass der Inhalt massivst hervorstach.
Es war ein farbiges Kleidungsstück. Also so richtige Farbe, nicht so schönes, farbiges Schwarz, sondern mit Möglichkeiten von Schattierungen und so.
Die Farbe nannte sich pure-gold. Ich kann und muss sagen: Ich mochte diesen warmen Gelbton wirklich sehr. So sehr, dass das Sweatshirt tatsächlich auch hin und wieder getragen wurde.
Das Sweatshirt kam aus dem Hause nichtlustig. Es zeigte einen der supersüßen Lemminge, der mal wieder – vermutlich erfolglos, wie immer – versuchte, sich umzubringen.
„Selbstmord… Wie niedlich!“
Im Oktober 2008 stand die alljährliche Frankfurter Buchmesse an, und mit ihr das traditionielle Mitgliedertreffen des buchfimmel.de-Bücherforums (vormals Wolfgang Hohlbein-Fanforum). Ich wusste, dass einige aufstrebende Comiczeichner und Cartoonisten vor Ort sein und signieren würden und so trug ich – ganz der Fanboy – besagtes Kleidungsstück.
Ich stand nun also in der Schlange vor dem aufstrebenden Cartoonisten Joscha Sauer, um mir sein neuestes nichtlustig-Werk signieren zu lassen, da kam mir eine Idee. Tatsächlich ließ er sich nicht lange bitten und zeichnete mir – passend zum Jenseits-süchtigen Lemming auf der Vorderseite – seinen Tod auf den Rücken. Ich war verzückt!
Waschen konnte ich den Pulli nun nicht mehr, entsprechend wurde er auch in der Öffentlichkeit nicht mehr getragen. Das war es also mit meinem kleinen Ausflug in die Welt der farbigen Klamotten. Er wurde nur noch jeweils kurz zu speziellen Comicevents herausgeholt.
Nur ein halbes Jahr später ergab sich eine weitere Möglichkeit. Der vielleicht gerade nur noch so als aufstrebend zu bezeichnende, weil schon damals fast alles überragende Flix sollte eine kleine Ausstellung in der Berliner Cartoonfabrik eröffnen, einem Ort, den ich vorher nicht kannte, und bei dem ich mir ziemlich sicher bin, dass er nicht mehr existiert. Es gelang mir, ihn dafür zu gewinnen, mir etwas Passendes zu dem Tod auf den Rücken zu zeichnen und so bekam die Figur nur wenige Minuten später Gesellschaft, durch einen Flix-Alter-Ego, der sich vor ihm erschreckte.
Es war wiederum nur ein halbes Jahr später, da geschah so ziemlich das Gleiche noch einmal. Diesmal war es dessen Freund und Kollege, dem ganz und gar nicht mehr aufstrebenden, weil bereits im Olymp angekommenen Cartoonisten Ralph Ruthe. Wieder eine Ausstellung, wieder der gleiche Ort. Es war klar, es bestand die Möglichkeit, meine drei liebsten Zeichner auf einem Medium vereinen zu können.
Ich war etwas früher vor Ort, als es vermutlich erwünscht war, doch ich wurde dennoch freundlicher Weise hereingebeten – und zwar von Flix persönlich. Er machte sich kurz darüber lustig, dass ich den falschen Pulli trüge, bis er seine eigene Zeichnung auf dem Rücken erkannte. Flix strahlte.
„Ralle! Ralle! Komm schnell, hier, da musst du auch was drauf malen!“, schrie er quer durch die Galerie, ohne dass ich ihn darum gebeten hätte, und rannte in irgendeinen Hinterraum. Ich fand das super.
Leider muss ich sagen, dass meine ursprüngliche Konzeptidee, so etwas, wie ein zusammenhängendes Bild der Drei erschaffen zu wollen, auf der Ziellinie scheiterte, als Ralph Ruthe seinen „übermalten“ Sting verewigte, der so gar nicht zum Tod passen wollte.
Über die folgenden Jahre hinweg traf ich allerlei Größen der vorrangig deutschen Webcomicszene und konnte eigentlich alle dazu bringen, den Pulli zu signieren. 2012 etwa konnten sich der unglaublich grandiose Jojo alias Beetlebum und Sarah Burrini von Das Leben ist kein Ponyhof darauf verewigen, die ich bei der Aktion Drei Superhasen tanken Tusche des Berliner Comicladens Grober Unfug (zusammen mit Flix als einheimischem Superhase) traf.
Irgendwann hatte dieses Kleidungsstück in der Szene sogar eine Art Erkennungswert. Man erkannte nicht mich persönlich, aber immer häufiger hörte ich die Frage: „Ist das DER Pullover?“ und immer häufiger musste nicht ich den Künstler oder die Künstlerin fragen, sondern es drehte sich durchaus auch mal der Spieß. Viele wollten von sich aus dabei sein! Es war verrückt.
Eine Ausnahme davon bildete Ralf König. Ich begegnete ihm am Sonntagmorgen des Comic-Salons Erlangen 2014. Offensichtlich war die Nacht lang und irgendwie war er nicht gut drauf. Er bestand leider nicht gerade freundlich darauf, nur seine eigenen Produkte signieren zu wollen. Aber ein Jahr später, bei der 24h-Cartoonlesung im Kino Babylon hatte ich dann mehr Glück.
Auf einem Comic-Salon in Erlangen, es könnte ebenfalls 2014 gewesen sein, stand ich in einer Schlange für eine Signatur, da wurden mir allen Ernstes ganze 500€ dafür geboten von jemandem hinter mir – Jahre später wurden die Angebote sogar vierstellig. Ich lehnte stets ab. Ich wollte nie Geld mit dem Pulli verdienen, vor allem, weil er ja von der Arbeit anderer und nicht primär meiner eigenen lebte. Doch es brachte mich auf die Idee, das Teil für einen guten Zweck versteigern zu wollen.
Ich glaube, es war widerum Flix oder vielleicht war es auch Joscha Sauer, der mich letztlich davon abhielt. Der Wert würde bei normalen Auktionen wohl eher nicht erkannt werden und im schlimmsten Fall würde er dann lieblos zusammengeknautscht in irgendeiner Ecke vergammeln. Es war jedenfalls letzterer, der sich anbot, mit der Frankfurter Caricatura zu reden, einem Comicmuseum, das vielleicht Interesse an dem Stück haben könnte.
Beim Comic-Salon 2018 sollte ich dann einen Schlussstrich unter dieses Projekt setzen. Eine letzte Runde durch die Hände von Künstlern, von einigen, die mir darauf noch fehlten und auch welchen, an die ich niemals gedacht hätte: Die finale Zeichnung kam dann unerwarteter Weise sogar von Brösel, der persönlich seinen Werner auf das letzte freie Fleckchen setzte, das sich finden ließ.
Tags darauf übergab ich das gute Stück an Joschas Freund Heiko Hörnig, damit es seinen Weg in das Museum finden möge.
Die Jahre vergingen und ich bekam keine Nachricht. Vermutlich staubte das Sweatshirt in irgendeinem Regal in Frankfurt ein. Nach mehreren Nachfragen bei Joscha dann schließlich die ablehnende Antwort: Die Caricatura hätte wohl kein Interesse.
Doch zeitgleich erfuhr ich von einer Initiative in Erlangen selbst, der deutschen Comicstadt schlechthin, ein entsprechendes Museum eröffnen zu wollen. Ich schrieb die Initiatorin Lisa Neun an und sie war extremst begeistert. Sie kontaktierte Joscha unverzüglich und vereinbarte eine Übergabe des guten Stücks.
Und tatsächlich durfte ich den Pulli dann beim Comic-Salon 2022 im Showroom des noch weitestgehend virtuellen Comicmuseums Erlangen nach 4 Jahren endlich wieder sehen. Stolz wie Bolle!
Einige Beitragende sind inzwischen sogar Max-und-Moritz-Preisträger und damit mit dem höchsten Preis ausgezeichnet, den es in Deutschland für Comicschaffende überhaupt gibt. Es gibt aber leider auch schon Verstorbene, die ich jedoch das Glück hatte, noch treffen zu dürfen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, hier die Liste der Künstlerinnen und Künstler:
- Felix Görmann/Flix
- Ralph Ruthe
- Joscha Sauer
- Ralf König
- Brösel
- Christian Moser
- Hauck & Bauer
- Lisa Neun
- Olivia Vieweg
- Sarah Burrini
- Mawil
- Ephi
- Jojo/Beetlebum
- Marvin Clifford
- Johanna Baumann/Schlogger
- Daniela Schreiter/Fuchskind
- Haiko Hörnig
- Jeff Chi
- Mario Bühling
- Bastian Baier/Lapinot
- Tim Gaedke
- Daniel Lieske
- Til Mette
- Adrian vom Baur
- David Füleki
- Hillerzeder
- Maike Plenzke
- Naomi Fearn
- Ines Korth
- Lisa Rau
- Piero Masztalerz
- Aike Arndt
- Michael Roos/De Michl
- Corvin Lüdera
- Patti
- …
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