Freizeitstress. Irgendwann bringt mich das noch um. Es gibt so viel zu erzählen und weil es so viele erzählbare Dinge zu tun gibt, bleibt kaum Zeit, sie zu erzählen.
Seit ungefähr einem Jahr hingen in Berlin Plakate, die auf die diesjährigen Konzerte von Die Ärzte hinwiesen. Drei Konzerte auf dem Tempelhofer Flugfeld. Inzwischen, wenn ich mich nicht vertue, bereits zum dritten Mal. Die ersten beiden Male war ich dabei – und bekloppt, wie ich bin, auch immer bei allen beiden Auftritte. Und das, obwohl ich die Location nicht leiden kann. Dieses Jahr sollte es sogar drei Konzerte in Folge geben. Und wie schon die Male zuvor, gab es wohl größere Schwierigkeiten, diese Events mit immerhin jeweils 60.000 Zuschauern vollständig auszuverkaufen. Bei über 80€ pro Ticket aber auch nicht weiter verwunderlich. Ja, Ticketpreise sind leider extrem gestiegen, das hat verschiedene Gründe. Doch darum soll es hier gar nicht gehen. Fakt ist, dass diese Band mir keine 80€ mehr wert ist. Da ich jedoch von den letzten Malen eine gewisse Erfahrung mitbrachte, schrieb ich mir den Termin dennoch in den Kalender – und wartete.
Die Zeit verging und irgendwann näherte sich der Termin. Ich hatte eine Idee: Wenn Die Ärzte oder Die Toten Hosen derartige Konzerte spielten, ohne auf einer expliziten Tour unterwegs zu sein, dann gab es meist kurzfristig angesetzte Warm-Up-Konzerte. Ich trug mich in den Newsletter ein. Genau zum richtigen Zeitpunkt, denn in der Tat kam nur wenige Tage später die Meldung: 2 Clubkonzerte in Berlin!
Clubkonzerte sind immer etwas Besonderes. Ein kleiner Kreis voller Bekloppter animiert die Band in der Regel, Songs zu spielen, die sie auf großen Bühnen mangels allgemeinem Bekanntheitsgrad eben nicht zum Besten geben will. Ick freute mir, griff wieder in die Trickkiste, und ergatterte nur wenige Sekunden nach Vorverkaufsbeginn Karten für beide Konzerte. Um Farin auf dem ersten Konzert zu zitieren: „Wer ist alles morgen auch dabei? – Ey, wie macht ihr das immer? Wir machen den Kartenverkauf extra kompliziert und ihr schafft das trotzdem!“. Gewusst wie. Und Connections. In dem Fall war ich mal derjenige, der die üblichen Verdächtigen versorgen konnte, manchmal ist es auch andersrum.
Es ist ein Sport! Und ich liebe es. Die Momente vorher. Das Adrenalin, das sich in den Venen ansammelt, das Zittern. Würde es klappen? Ist alles richtig eingestellt? Der Account angelegt? Eingeloggt? Die Kreditkarteninformationen schon im Zwischenspeicher? Bei solch kleinen Konzerten geht es um Bruchteile von Sekunden.
Und dann geht alles rasend schnell – und ist rasend schnell vorbei. Glücksgefühl und tiefe Enttäuschung sind dann nur Wimpernschläge voneinander entfernt.
Die Konzerte im Club fand ich dann leider nicht besonders gut. Aber es geht dabei auch nicht nur um die Musik. Es geht auch um die Gruppe. Wir treffen uns mit Leuten aus allen Ecken des Landes. Leute, mit denen man sich dann vorher verabredet, ein Bierchen trinkt, und auch hinterher noch zusammen sitzt und den Abend ausklingen lässt – und dies am nächsten Tag gegebenfalls wiederholt. Es ist einfach eine tolle Atmosphäre und eine Welt so weit weg vom Alltag, wie nur irgendwie denkbar.
Die Ärzte waren also aufgewärmt, ich auch. Die Setlist der Clubkonzerte bestätigte mich allerdings in meinem Entschluss, keine teure Karte für Tempelhof gekauft zu haben. Aber eines der Konzerte wollte ich schon gern sehen. Meine bessere Hälfte auch und so entschieden wir uns – ein guter Freund wollte dann auch vor Ort sein – für den Freitag. Die Karten würden nicht das Problem sein, das wusste ich. Eigentlich war ich sogar noch zu früh dran, als ich die Tickets für 50% des Originalpreises einige Tage vorher in einem anderen Stadtteil abholte. Tatsächlich lagen die Preise kurz vor Beginn bei nur 10-20€.
Die eigentliche Hürde und der eigentliche Sport liegt darin, in die erste Welle zu kommen, jenen Bereich direkt vor der Bühne, wo nur ein kleiner Bruchteil des Publikums hinein kommt. Eine Sache der Sicherheit, um den Druck vorn heraus zu nehmen. Bei größeren Konzerten gibt es dafür eigene Bändchen. First come, first serve. Wenn man also früh genug da sein würde, besteht die Chance, eines der begehrten Bändchen zu ergattern. Da man aber nun nicht unbedingt bei >30°C auf einer schattenlosen Betonfläche viele Stunden ausharren will, um dann zwar mit Bändchen am Arm jedoch mit Hitzschlag im Kopf das Konzert zu überstehen, braucht es andere Strategien. Und derer haben wir mittlerweile viele. Eine davon ist der riesige Beutel von meinem Kumpel, der über die Jahre alle möglichen Farben und Varianten von Bändchen gesammelt hatte, die ihm unter kamen und so konnte es schon passieren, dass man ein altes wiederverwerten konnte. Nichtsdestotrotz ist es eine nicht zu unterschätzende Logistik: Wer fährt zum Gelände und schaut, welche Farbe die heutigen Bändchen haben? Kriegt man vielleicht eines (oder mehrere?) schon vor dem Eingang? Kennt man eventuell einen Security-Typen oder gar den Veranstalter? Wie viele Bändchen werden in der Gruppe benötigt? Und was, wenn einer von uns erst später kommen kann? Um es kurz zu machen: Dank einer guten Organisation, guten Bekannten und einer unfassbar selbstlosen Gruppendynamik, in der jeder für den nächsten kämpft, waren wir schon Jahre nicht mehr außerhalb der ersten Welle anzutreffen. Selbst, wenn wir erst 30 Minuten vor Beginn auf dem Gelände waren.
Und das Konzert? Es war großartig! Das Set wurde dominiert von 80er- und 90er-Songs; genau das, was ich von der Band noch kannte und liebte. Genau dafür stand ich dort, damit konnte gefeiert werden. Und weil es so großartig war, wurde alles Geschwätz von gestern ignoriert – und der Kreislauf wiederholt. Zweimal. Aufwachen, Bändchenfrage, Organisation, Ticket jagen, Bierchen auf dem Parkplatz, ein weniger und ein ähnlich gutes Konzert sehen, Bierchen auf dem Parkplatz, Heiabubu. Aufwachen,…
Konzertbesuche sind bei mir schon lange keine Abendveranstaltungen mehr. Konzerte sind ein tagesfüllendes Ereignis. Und es ist ein Sport, es ist Adrenalin. Und ich liebe es.
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