Ruminarium

Zurschausstellung meiner Grübeleien


Modestadt Düsseldorf – Wie ich das Publikum bunt färbte

In unregelmäßigen Abständen veranstalten Die Toten Hosen einen Wettbewerb: Man kann sich mit einem möglichst kreativen Beitrag und einer spannenden Location für ein „Wohnzimmerkonzert“ bewerben. Das ultimative Ziel eines jeden Fans. Diese Touren werden in Anlehnung an die Beatles „Magical Mystery Tour“ genannt.

Videos mit Liebesschwüren und Treuebekundungen aller erdenklicher Art und Weise und jeden beliebigen Aufwandes wurden schon produziert. Mir kam 2022 die Idee, das Medium zu wechseln und mit ein paar Bekannten ein Buch zu schreiben, das bandbezogene Erlebnisse festhalten sollte, Erlebnisse, die sie persönlich prägten. Ein Bandbuch von Fans für Fans sozusagen. Da trotz zahlreicher Zusagen nie jemand mitschrieb, veröffentliche ich nun hier meine Texte.


Manchmal sind Konzerte nicht einfach nur irgendwelche Konzerte. Manchmal heißt, auf ein Konzert zu gehen, auf Reisen zu gehen. Manchmal heißt, auf ein Konzert zu gehen, fremde Länder zu besuchen. Manchmal heißt, auf ein Konzert zu gehen, Freunde zu treffen und Freunde zu finden. Manchmal brauchen Konzerte Erinnerungen.

Seit den Nullerjahren gehe ich auf Konzerte. Und seit dem schaue ich gern und regelmäßig bei den T-Shirt-Ständen vorbei. Es gibt Bands, da habe ich mal etwas mitgenommen, aber meist lasse ich es sein. Tour-Shirts sind in der Regel langweilig. Bei den Hosen habe ich fast nie etwas Interessantes gefunden. Weder damals auf den Merchandise-Ständen, noch heutzutage im Internet.

Vor Beginn einer Show hat man oft viel Zeit, sich umzuschauen und nichts ist spannender als anderer Leute Shirts zu lesen, anzuschauen, zu begutachten – und zu beurteilen. Die meisten Shirts sind langweilig, oft die normalen Tour-Shirts der aktuellen oder der letzten Tour, alles hunderte Male gesehen. Doch manchmal findet man Raritäten und echte Kuriositäten. Gut in Erinnerung ist mir ein T-Shirt mit dem Spruch „Fuck The Police“ – und auf der Rückseite „And Sting Too“. Ob man die Message teilt oder nicht, aber das finde ich bis heute ziemlich kreativ.

Besonders neidisch bin ich bei Die Toten Hosen-Konzerten auf die Leute, die die alten Shirts tragen. Also die echten, die nicht Remakes. Zerschlissen, ausgeblichen und voller Geschichte. Diese Jungs und Mädels haben die Hosen noch damals gesehen, als ich noch viel zu jung war, in der wilden Sturm und Drang-Phase der Band. Aber vor allem waren damals ihre Shirts noch spannend. Bunt, lustige Sprüche, und einfach vielseitig im Sortiment und durchaus auch mal provokativ. Heute findet man überall das Einheitsschwarz, mit einem Tour-Namen in dem sich immer irgendwie gleichenden Design. Nur einmal habe ich ein Hosen-Shirt gekauft, das fand ich wirklich ansprechend: Das SO36-Shirt von 2018. OK, und das Pasty Faces-Shirt fand ich lustig genug als Hardcore-Insider-Gag, sodass ich es mir reduziert im Abverkauf gönnte.

Ich habe da mal von dieser Regel gehört, die besagt, welche T-Shirts man auf einem Konzert tragen darf:

  1. Trage niemals Shirts der Band, die du gerade besuchst. Zeige, dass es noch andere coole Bands gibt.
  2. Ausnahmen von Regel 1 sind:
    1. Es sind besonders alte Shirts, die zeigen, dass du schon viel länger dabei bist als alle anderen.
    2. Es sind Shirt von besonderen Ereignissen, die nur wenige miterleben durften.
    3. Es sind selbstgemachte Shirts.

Regel 1 befolge ich eigentlich immer. Außer bei den Hosen. Das liegt zum einen daran, dass ich Frostbeule meistens ein Sweatshirt dabei habe und ich eigentlich fast ausschließlich diese Standard-„Bis zum bitteren Ende“ (BzbE)-Hoodies besitze, aber andererseits auch, weil ich Regel 2 mag. Obwohl Regeln 2.1 und 2.2 eigentlich krass elitäres Gehabe sind, hole ich trotzdem manchmal mein SO36-Shirt aus dem Schrank, um anzugeben (getreu Regel 2.2). Aber wirklich angetan hat es mir Regel 2.3.

Als ich mich 2018 doch recht spontan dazu entschloss, endlich mal den Argentinien-Trip zu wagen, schaute ich mich wie üblich erfolglos im Kauf-Mich-Shop nach einem schönen Tour-Shirt um. Ich stellte fest, dass in diversen WhatsApp-Gruppen dazu bereits diskutiert wurde: Ein Tour-Shirt musste her! Und in Ermangelung von Alternativen musst es eines sein von Fans für Fans. Ich hatte damals noch keine Ahnung, wie traditionell das Fan-Tour-Shirt eigentlich war, doch scheinbar hatte das eine recht lange Tradition. Und scheinbar hatte der übliche Designer solcher Fan-Tour-Shirts für dieses Mal abgesagt.

 Ich hatte Lust, ich hatte eine Idee, sie musste nur umgesetzt werden. Doch ich war lausig ausgerüstet für solch hohe Ziele. Ein Zettel, ein Stift und gerade noch einen Laptop ohne nennenswerte Grafiksoftware. Der Scanner war bereits im Umzugskarton verstaut, wurde jedoch extra noch einmal ausgepackt.

Die Grundidee war schnell klar. Argentinien, das hieß Fußball. Klar, da musste das blau-weiße Shirt als Grundlage dienen. Und dann wollte ich zwar das Symbol des Knochenadlers verwenden, doch an etwas typisch Argentinisches anpassen. Ich brauchte ein typisch argentinisches Tier. Argentinien, das hieß auch Steaks. Ein Rind. Eine Kuh, es sollte eine Knochenkuh werden. Damals fand ich das Ergebnis für die Schnelle und die Möglichkeiten recht passabel und stellte das fertige Ergebnis in der Gruppe vor. Die Resonanz war niederschmetternd. Nicht einmal die engsten Bekannten wollten eines. In der Gruppe hieß es: Wie kann man die Band so sehr beleidigen, dass man sie als Rindvieh portraitierte? Gut, die Nachricht entsteht beim Empfänger, sagte einst schon Kommunikationsexperte Schulz von Thun. War nicht so gemeint, ist aber eine spannende Interpretation. Na, dann eben nicht.

Doch kurz darauf gab es nach und nach, heimlich auf dem privaten Kanal eintrudelnd, einzelne Fans, die doch an solch einem Shirt Interesse hatten. Ich gebe zu, ich freute mich, dass diese Arbeit doch nicht umsonst war. Und so kam es, dass man, mit ganz viel Glück, drüben auf dem südamerikanischen Kontinent tatsächlich einzelne Menschen mit dem ganz eigenen Design rumlaufen sah. Stolz wie Bolle.

 Klar, das Erlebnis 2018 war jetzt nicht so der große, durchschlagende Erfolg gewesen, aber der Entwurf solch eines Shirts hatte mir viel Spaß bereitet. Es ergab sich recht bald danach, im Jahr 2019, eine neue Gelegenheit für solch eine Arbeit. Die Polen-Tour stand vor der Tür und ich wollte unbedingt wieder ein schönes Erinnerungsstück für mich und meine engsten Bekannten basteln.

Die Grundidee mit dem Fußballtrikot als Grundlage funktionierte auch in Polen ganz gut, bildete ich mir ein. Die Motivwahl war diesmal absolut klar, denn mit Blick auf das polnische Wappen zeigte sich: Polnischer Wappenadler zu Knochenadler. Die Transformation war schnell gemacht. Dem BzbE-Adler die Krone des Wappentiers ins Gesicht gezogen, als Farbausgleich noch die Krallen gelb lackiert und fertig war der Spaß. Ich hatte ein wenig Angst, dass dieses Motiv vor allem bei den Polen selbst schlecht weg kam – immer noch die denkbar negative Interpretation des Knochenrinds aus dem Vorjahr im Kopf. Die Polen sind ein stolzes Volk. Sie sind stolz auf ihr Land und vermutlich auch auf ihr Wappen. Ich hatte ein wenig Angst, dass sie der Anblick ihres nackten Wappentieres durchaus verärgern könnte. Aber ich entschloss mich, mich zumindest der deutschen Kritik zu stellen. Abblasen konnte man die Aktion ja immernoch.

Verglichen mit der Arbeit aus dem Vorjahr, war dies hier handwerklich ein Kinderspiel gewesen. Insofern malte ich mir eigentlich keine große Resonanz aus. Doch ich sollte mich täuschen. Von jeder Ecke wurde nach einem Exemplar verlangt. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Wie geil war das denn bitte? Und tatsächlich färbte sich die Publikumsmenge bei den Konzerten in Warschau und Krakau sichtlich rot. Ich fand es großartig.

Doch wie reagierten die polnischen Fans? Sie waren sauer! Sauer, dass sie kein Shirt bekommen hatten – wir hatten sie ja im Vorfeld tatsächlich nicht gefragt. Nun mussten also die deutschen Fans alle Nase lang einen Trikottausch vornehmen und ihre Shirts weggeben. Die Polen fanden das Motiv am Ende so toll, dass wir versprechen mussten, nach der Tour eine weitere Charge zu produzieren.

Noch heute sieht man auf beinahe jedem Hosen-Konzert hier und dort eines dieser rotleuchtenden Trikots, was mich immer wahnsinnig freut.

Und nun, im Jahr 2022, steht die nächste Argentinien-Tour an. Auch wenn ich selbst pandemiebedingt dieses Mal leider zu Hause bleiben werde, wurde ich gefragt, ob ich noch einmal ein Shirt designen wolle. Und weil ich, das muss ich fairerweise eingestehen, mit den paar Jahren Abstand das damalige Motiv auch nicht mehr wirklich mag, ließ ich mich breit schlagen mit dem Versuch, die damalige Idee deutlich zu verbessern. Ich kann mich immernoch nicht von der Idee des Knochenrinds verabschieden, hoffe aber, dass die neue Version weniger zweideutig ausfallen wird als damals. Lassen wir uns alle überraschen.

PS: Wie für jedes vernünftige Fanprojekt hat natürlich nie irgendjemand auch nur einen Cent an den Shirts verdient. Sie wurden und werden stets auf den Cent genau zum Selbstkostenpreis weiter gegeben, in vielen Fällen sogar mit Verlust verschenkt.


Heute (2024):

Vor zwei Jahren hatten Die Toten Hosen ihr 40-jähriges Bandjubiläum. Für die entsprechende Tour hatten sich die polnischen Fans ihrerseits ein eigenes T-Shirt gedruckt – und wollten meinen Adler-Entwurf dafür nutzen. Was für eine Ehre!



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.