Ruminarium

Zurschausstellung meiner Grübeleien


Der Wahnsinn des Ticketvorverkaufs

Irgendwie ging auf einmal alles sehr schnell und vor allem unerwartet. Eigentlich haben alle Quellen klar gesagt: Die Toten Hosen-Konzerte würde es frühestens 2026 erst wieder geben.

Und dann kam letzten Sonntag eine geheimnisvolle Nachricht: „Morgen geben die Hosen eine neue Tour bekannt. Aber pssst!“

Die Orte waren wohl auch schon klar. Es sollte quer durch Europa gehen. Eine Auswärtsspiel-Tour der Hosen. Im Spätsommer!

Es war gespenstisch. Noch bevor die Daten wirklich veröffentlich waren, kamen am Montag die üblichen Verdächtigen aus ihren Löchern gekrochen. Monatelang hatte man von den Allermeisten weder etwas gesehen noch gehört. Und plötzlich war da dieses digitale Gemurmel und Geraune. Hier eine Whatsapp-Gruppe, da ein Nachrichtenkanal. Die Welt der Hosen-Ultras begann sich zu langsam zu erheben.

Die Daten waren raus. 29. August bis 14. September. Von Skandinavien über Warschau bis Britannien. Verhältnismäßig kleine Clubs. Sieben Stationen in gut zwei Wochen. Der Vorverkauf würde Mittwoch starten, elf Uhr. Und wir alle wussten, was das hieß. Elf Uhr zwei würde alles vorbei sein.

Es war einfach unmöglich, sich dem Sog zu entziehen, der nun Gestalt annahm. Die WhatsApp-Gruppen explodierten förmlich – noch zu normaler Mittagszeit; als hätten wir alle nichts Besseres zu tun. Wer wohin mitreisen würde – eine eher rhetorische Frage -; wer für wen Tickets besorgen könne, was mit den Argentiniern wäre.

Mich selbst packte es so sehr, dass ich kaum erwarten konnte, dass die bessere Hälfte zuhause eintraf. Noch bevor sie ihre Schuhe ausgezogen hatte, bombardierte ich sie mit den Tourterminen, zur gemeinsamen Terminabklärung. Und nun gab es bei mir kein Halten mehr. Zu großartig waren die Neuigkeiten! Zu intensiv die Gefühle, die es nun zu kanalisieren galt. Ich setzte mich an eine spontane Idee eines self-made Tour-Shirts und warf die ersten schnell zusammengeklickten Skizzen in die Gruppe. Europatour konnte nur bedeuten: Irgendetwas Blaues mit Sternchen.

Ein Fehler, wie sich schnell zeigte, denn augenblicklich kamen dutzende Feedbacks, Wünsche, Änderungsvorschläge. Und schon machte ich den nächsten Fehler: Um die eine Gruppe thematisch nicht unter meinen Gehirnfürzen zusammen brechen zu lassen, eröffnete ich eine weitere. Siebzig Leute waren in den ersten Minuten beigetreten.

Auf einem separaten Kanal meldete sich jemand: „Warum willst du noch ein Shirt machen? Wir sind doch auch dran.“ Ich schloss umgehend die neue Gruppe wieder und mich den anderen an. Was sollten wir gegeneinander arbeiten? Doch dort wollte man warten. Auf Mittwoch, auf nach dem VVK…

Es wurde Dienstag. Ein Link machte die Runde. Für Paris könne man wohl dort schon Tickets ergattern. OK, schnell sein hieß es nun. Irgendeine ominöse, französische Webseite, deren Texte man nicht lesen konnte wollte mutmaßlich meine Kreditkarteninformationen? Was soll da schon schief gehen?

Ein erneutes Rauschen. In dem Toten-Hosen-Forum gab es das Gerücht, man könne Karten aus dem Priority-Presale bekommen. Dazu muss gesagt werden, dass der Handy-Anbieter O2 gerne mal für eigene Kunden in eigenen Locations einen eigenen Vorverkauf anbietet, bereits vor offiziellem Start. Das war damals für die Berliner O2-World auch so – als sie noch so hieß. Die Hosen sollen im O2-Forum in London auftreten. Priority Presale also. Einige von uns sind O2-Kunden und versuchten es. Das Problem: Man brauchte dummerweiser einen britischen O2-Vertrag.

Findige Leute fanden einen Weg. VPN nach Großbritannien aufbauen und dort einen kleinen Handyvertrag bei O2 abschließen. War man im Besitz eines Handys, das eSIM-Karten vertrug, konnte man mit den direkt übermittelten Vertragsdaten sein Handy mit einer britischen Telefonnummer beglücken. Damit dann schnell bei O2 einloggen und schon war man glücklicher Besitzer eines O2-Presale-Tickets.

Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie bekloppt wir werden können, wenn es um heiß begehrte Tickets geht. Aber nach einigen Stunden rumprobierens hatten wir es tatsächlich hinbekommen, in dem einen Handy, dass sich in unserer Gruppe fand, dass eSIM sprach, dieses Vorgehen in die Tat umzusetzen. Nun gab es kein Halten mehr. Es sprach sich schnell rum, dass jemand einen Weg gefunden hatte. Und am Ende des Tages hatten wir tatsächlich mehrere O2-Verträge in England geschlossen, nur um sie einen Ticketkauf später direkt wieder zu kündigen. Mit dem gleichen Handy. Mit immer neuer Kreditkarte und und immer neuer E-Mail-Adresse. Es scheint geklappt zu haben.

Am Ende des Tages hatten einige sogar noch für Stockholm und Kopenhagen Karten ergattern können, die kurzzeitig auf deren Eventim-Ableger als Promoter-Tickets freigeschalten waren. Nur, um das einmal zu verdeutlichen: Einen Tag vor offiziellem Verkaufsbeginn hatten zahllose Leute irgendwelche Wege gesucht, schon an Karten heranzukommen, haben vermutlich stundenlang Eventim-Seiten immer wieder neu geladen, um dann wirklich das Glück gehabt zu haben, dass sich hier und dort eine Gelegenheit bot. Einige von uns hatten am Dienstag bereits Tickets für mehr als die halbe Tour. Einen Tag vor Vorverkaufsbeginn! Was für ein Tag!

Was dann Mittwoch losbrach, lässt sich kaum noch in Worte fassen. Aber es was definitiv unserer und meiner langjährigen Erfahrung zu verdanken, dass wir immer auch eigentlich Unbeteiligte ins Boot holten, die um Punkt elf Uhr die bereits schon ausgespähten Ticket-Webseiten besuchten. Im Millisekundentakt. Um 10:55 meldete ein Freund von mir, dass er bereits in der offiziellen, digitalen Warteschlange für Amsterdam stand. Was soll ich sagen? Ich war mit dem Anstellen um 10:58 bereits zu spät und sollte selbst leer ausgehen. Wie gut, dass ich besagten Freund angestiftet hatte, seine Mittagspause vorzuverlegen, denn er meldete Vollzug. So konnte ich mich ganz auf Warschau konzentrieren, was Angesicht der Tatsache, dass ich bereits alle anderen Tickets sicher hatte, extrem entspannt war. Lang lebe die Gleitarbeitszeit!

Nicht so bei einigen Gruppenmitgliedern der WhatsApp-Gruppe. Schon wenige Minuten nach elf Uhr kamen die ersten Meldungen: „Ich suche noch für Amsterdam!!“ und „Warschau ist ausverkauft!“ und „HAT NOCH WER WAS FÜR LONDONNNNNN?“

Ich sage mal so, mir ist kein Fall bekannt, der jemals draußen stehen geblieben ist, seit ich in diesen Tiefen unterwegs bin. Ich nehme es vorweg, wenn ich sage, dass am Ende des Tages zumindest meine engeren Bekannten alle versorgt waren – auch wenn das sicherlich nicht ganz ohne graue Haare abgelaufen war. Ich selbst fand mich beispielsweise noch drei Stunden später auf der dänischen Eventim-Seite wieder, manisch die Seite neuladend, um dann in einem Bruchteil einer Sekunde rechtzeitig geklickt zu haben, um einen der sogenannten Zahlungsrückläufer für eine Freundin zu ergattern.

Die Tour war also – wie abzusehen – in wenigen Sekunden ausverkauft. Ironisch war dann der offizielle News-Beitrag auf der Hosen-Webseite gegen elf Uhr fünfzehn, der uns mitteilte, dass der Vorverkauf begonnen hatte. Vierzehn Minuten, nachdem dieser bereits wegen Ausverkauf geendet hatte.

© KKT & JKP

Jeder von uns hat immer irgendwie noch eine Karte mehr in der Tasche. Und jeder von uns kann in irgendeiner Angelegenheit noch irgendwann irgendwem helfen. So kamen zwei Tage später die ersten Argentinier in die Gruppe – und wurden sogleich mit Tickets beschenkt. Das sind die Gesten, warum ich es so liebe! Jeder hilft so, wie er kann. Wir sind alle im selben Boot und wir fahren darauf von den ersten Stromschnellen des Ticketverkaufs bis hin zur völligen Ekstase des Konzerts. Wir werden so europaweit alte Freunde wiedersehen und neue kennenlernen. Und das Boot wird immer größer und immer voller.

Die nächsten Tage waren natürlich geprägt von Logistik. Wer schläft in welchem Hotel? Fliegen, Wohnmobil oder Zug? Ich selbst war, glaube ich, recht schnell mit allem und konnte so noch einigermaßen gute Konditionen abfassen – von den Zugreisen, die ich dank meines Arbeitgebers durchaus günstig bekomme, ganz zu schweigen. Und ja, ich habe vorsichtshalber fast überall Tickets gekauft, Hotel- und Zugbuchungen getätigt. Wohlwissend, dass ich vermutlich nicht die Kraft haben werde, diese aufregende, aber ganz sicher auf kraftzehrende Tour mitzumachen. So bleibe ich aber auf jeden Fall flexibel. Stornieren kann man das meiste im Zweifel immernoch. Und die Tickets wird man immer los.

Die erste Aufregung ist jetzt vorbei. Ich selbst sitze gerade an einem – ich muss das jetzt einfach mal so sagen – unfassbar epischen Shirtdesign, welches ich heute abend noch mit den anderen diskutieren werde.

Es macht wieder Spaß und ick freu mir wie Bolle!



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