Die folgenden Gedanken trage ich schon Jahre mit mir herum. Ich möchte sie gern teilen, aber ich bin mir auch bewusst, dass sie vielleicht für einige verletzend sein können. Das Thema ist nicht einfach und man kann es mit allergrößter Sicherheit nicht auf alle Menschen gleichermaßen anwenden. Deswegen habe ich mich lange sehr schwer getan, diese Gedanken in irgendeiner Form aufzuschreiben. Vielleicht sollte man das gar nicht. Aber vielleicht sollten sie auch gerade deswegen raus. Ich weiß es nicht.
Es fing vor vielen Jahren an. Ich kann mich genau an diesen einen Moment erinnern. Wie vermutlich die meisten Jungen in Cottbus bin ich hin und wieder ins Stadion gegangen. Der FC Energie Cottbus. Im (damaligen) Stadion der Freundschaft. Es gab damals diesen einen, vom Publikum verehrten Spieler, Toralf Konetzke. Der Publikumsliebling, würde man vielleicht sagen. 1998 wechselte er zum direkten Konkurrenten, der Fortuna Köln. Ich war damals im Stadion, als die Fortuna dann zu Gast war – und als Toralf Konetzke einlief. Buh-Rufe.
Mich schockierten diese Buh-Rufe so über alle Maßen, dass ich augenblicklich jedes Interesse an dem Verein im Speziellen und dem Fußball im Allgemeinen verlor. Wie konnte man nur einen Menschen ausbuhen, insbesondere einen, den man vor nur wenigen Monaten noch als Helden verehrte – nur weil er ein anderes T-Shirt trug und es gewagt hatte, sich einen neuen Arbeitgeber zu suchen?
Dieses Verhalten konnte ich nie und kann ich immernoch nicht verstehen. Mehr noch, schon damals hatte ich angefangen, mir über etwas Gedanken zu machen, das mich tatsächlich bis heute beschäftigt: Was genau macht eigentlich einen Fußballfan aus? Wovon ist man eigentlich Fan?
Ich meine, ich bezeichne mich als Fan einer Band. Und da ist die Frage eigentlich schnell beantwortet: Es geht um die konkreten Musiker und – mehr noch – die konkrete Musik. Bei einem Fußballverein kann man das allerdings schlecht sagen; die Spieler wechseln alle Nase lang, ebenso wie die Vereinsleitung. Man kann kaum sagen, es gehe um die Spielweise oder um der Vereinsleben, denn das alles in stetigem Wandel. Wovon genau ist man dann also Fan? Von den Vereinsfarben, vom Stadion? Ich habe mit vielen Fans unterschiedlicher Mannschaften darüber gesprochen, aber keiner konnte mir das so richtig erklären. Auch die Auswahl eines Vereins als seinen „Lieblingsverein“ ist so ein Mysterium für sich. Meistens ist es meines Erachtens reines Mitläufertum. Denn es ist sicherlich am einfachsten, Fan zu sein, wenn man die gleiche Meinung vertritt, wie seine soziale Umgebung. Am Ende ist das also der Verein der eigenen Stadt.
Aber genau hier setzen meine Folgegedanken an. Wenn man also die Fans einer Mannschaft beobachtet, dann beobachtet man in jeglicher Umgebung und sozialen Schicht eine Art Intoleranz. Das beginnt bei freundschaftlichem Necken und endet nicht selten bei handfesten Prügeleien und sogar Überfällen. Die Nachrichten sind voll davon. Es geht sogar so weit, dass ich persönlich es vermeide, in einen Zug einzusteigen, in dem Fußballfans auf Reisen sein könnten. Aus purer Angst. Fakt ist: Jeder der nicht die jeweilige Meinung teilt, ist potentiell gegen sie und damit erklärter Feind. Ob freundschaftlich beleidigt oder ins Krankhaus geprügelt: Fan sein bedeutet oft, Intoleranz zeigen und zu leben.
Es ist genau diese Art von Intoleranz, die mich abschreckt, wenn es um Fußballdiskussionen geht. Ja, auch ich schaue mir so ein Spiel gern mal an – und auch ich habe meistens einen Favoriten dabei. Aber das gibt mir noch lange nicht das Recht, den Gegner und dessen Fans nicht zu respektieren oder zu akzeptieren. Das Problem sehe ich darin, dass diese Art von Intoleranz gesellschaftlich geduldet wird. Es wird geduldet, dass man andere aufgrund ihrer T-Shirt-Farbe oder ihrer Meinung beleidigen kann. Es ist ja nur Sport. Doch was wäre, wenn es plötzlich nicht ein anderer Verein wäre, sondern eine andere Religion oder eine andere Art zu lieben? Es ist ja nur Religion. Der Schritt dahin ist nicht sehr groß.
Ich sage es klar und deutlich, weil ich es nicht anders ausdrücken kann: Für mich ist das Fan-Sein mit gelebter Intoleranz eindeutiger Faschismus! Denn was zeichnet Faschismus aus? Die Nichtakzeptanz und Bekämpfung von Andersartigem. Mir fällt es wirklich schwer, das runterzuspielen auf „Ist doch nur Sport“ oder „Ist doch nur am Wochenende“. Denn das ist es eben nicht. Ich habe ganze Büros gesehen, die mit Vereinsreliquien aller Art geschmückt waren, wo Angestellte sich in der Teeküche gegenseitig angegangen sind – ob freundschaftlich oder nicht, war für mich teilweise nicht mehr auszumachen. Es finden manchmal ganze Psychokämpfe mehrerer Lager statt. Das wird toleriert. Beleidigungen und Ausgrenzungen aufgrund von unterschiedlichen Meinungen werden toleriert! In Büros und in der ganzen Gesellschaft!
Ich glaube, wir brauchen uns nicht zu wundern darüber, das Hass wieder allerorten aufkeimt. Ja, es mag sicherlich nur auf wenige zutreffen, denn sicherlich kennen die meisten Fans die Grenze zwischen Vereinsliebe und Rassismus. Aber einige eben auch nicht. Es gibt Menschen, die lernen Woche für Woche, dass es absolut in Ordnung ist, die Tausenden von Menschen auf der anderen Stadionseite zu beschimpfen und aufs Tiefste zu beleidigen und zu verachten. Das gehört halt dazu, da wird keiner zur Rechenschaft gezogen.
Wie kann eine Gesellschaft, die sich angeblich für so tolerant und offen hält, solche Brutstätten für Faschismus akzeptieren, frage ich mich. Wie kann es in Ordnung sein, dass man völlig unbekannte Menschen – Männer, Frauen, Kinder – dauerhaft beleidigt oder angeht, nur weil sie ein anderes Vereinslogo anhimmeln? Und wie kann man sich dann wundern, dass wieder irgendwo etwas in Gewaltexzessen eskaliert? Man lässt doch die Anfänge gewähren, ja fördert sie vielleicht sogar!
Für mich ist klar: Das Phänomen eines Sportfans kann ich zwar nicht nachvollziehen, aber das muss ich auch nicht. Das soll jeder machen, wie er möchte. Aber dass Sportfans oftmals beleidigend oder schlimmer sind, das kann und will ich nicht tolerieren, denn das ist für mich eindeutige Intoleranz und gesellschaftlich akzeptierter Faschismus. Lasst doch die anderen Leute glauben, leben und zujubeln was und wem auch immer sie wollen! Was genau haben diese Menschen euch getan, dass ihr euch das Recht herausnehmen dürft, sie anzugehen?
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