Schon sehr, sehr lange wollte ich in meinem Leben eine Pen & Paper-Runde spielen. Letztes Jahr ergab es sich, dass wir uns online im Freundeskreis zusammenfanden, jemanden Bekanntes und in diesen Dingen Erfahrenes als Spielleiter gewannen und so unsere ersten Schritte in die wunderbare Welt von Dungeons & Dragons, eine Welt voller Magie, Abenteuer und komplizierter Regeln, gemeinsam unternehmen konnten. Leider ist dieser Ausflug viel zu früh zum Ende gekommen. Doch in dieser kurzen Zeit ist mir mein Alter-Ego sehr ans Herz gewachsen. Deshalb möchte ich ihn euch vorstellen: Angyrtis, der Drachengeborene.
Diese Texte erschienen zuerst im November 2023 in unserem internen Spielerforum.

Ins Leben
Das junge Paar fand sich, wie sich Paare finden. Beide passten irgendwie nicht dazu, beide fühlten sich wie Außenseiter. Eher schmächtig geraten, waren sie nicht in der Lage, mit den anderen mitzuhalten. In Kraft und Intelligenz zwar keineswegs schlecht, aber eben auch nur Mittelmaß. Sie wurden nicht beachtet, nicht registriert. Der Clan hatte nicht viel übrig für Mittelmäßigkeit. Früher hatten sie sich noch bemüht, doch irgendwann hatten sie akzeptiert, dass sie weder angesehene Kämpfer noch großartige Strategen sein würden. Im Laufe der Jahre wurden sie immer weniger beachtet. Der Clan mied sie nicht, doch sie mieden den Clan. Bedeutete der Clan überhaupt noch irgendetwas? War der Clan wirklich ein essentieller Teil ihres Lebens? Wie konnte man einem Konstrukt nur so bedingungslos vertrauen, wenn das Konstrukt kein Vertrauen in sie hatte?
Die beiden hatten einander – und das, was dort reifte. Ein neues Leben, eine Familie. Nur ganz für sie allein. Der Clan bedeutete nichts, sagten sie. Doch der Clan antwortete. Das Abwenden vom Clan war das schlimmste Verbrechen! Die Antwort war: Exil, Verbannung!
Hier an den Hängen der Berge vom Grat der Welt kam das einem Todesurteil gleich. Und doch hatten sie keine Wahl. Ihr Weg führte sie direkt hinein ins Gebirge. Ausgerüstet mit ihrem wenigen Hab und Gut – und ihrem Baby unter dem Arm.
Die ersten Tage waren hart. Die eisigen Winde, der Schnee, die wolkenverhangenen Gipfel schufen eine Welt aus Kälte und Tod. Sie schafften es zumindest, den Rudeln hungriger Wölfe aus dem Weg zu gehen, die in der Ferne stets zu hören waren. Doch dieses Mal war es anders. In dieser einen Nacht kam der Tod zu plötzlich.
Unter Yetis
Es ist ihm bis heute unklar, warum sie ihn mitnahm. Doch nachdem sie mit seinen Eltern kurzen Prozess gemacht hatte – und ganz sicher nicht ohne ihren beißenden Hunger an ihnen etwas zu beruhigen -, griff sie nach ihm und schleppte ihn bis hinauf in die eisigsten Gipfel. Dorthin, wo ihr kleiner Stamm sein Lager hatte, in einer windgeschützten Höhle. Vielleicht weil seine Hautfarbe dem eines neugeborenen Yetis nicht unähnlich sah, vielleicht weil sie etwas in ihm sah, was sie vor kurzem selbst verloren hatte. Wirkte er damals auf sie wie ihr eigenes totes Kind? Er hatte ein unfassbares Glück. Aus ihm nicht erklärlichen Gründen, zog sie ihn auf.
Es wurde ihm damals schon schnell bewusst, dass er selbst anders war, als sein Stamm. Er gehörte nicht dazu. Er wusste, dass die meisten der Gruppe ihn nicht toleriert hatten, aber sie fürchteten seine Mutter. Sie hatte ihn mehrfach vor dem sicheren Tod bewahrt. Vor den anderen und auch vor der eisigen Kälte. Sie wärmte ihn. Aber an die Kälte hatte er sich trotzdem nie richtig gewöhnt.
Die Yetis waren an die Welt aus Eis und Tod bestens angepasst. Sie überlebten dank ihres dichten Pelzes und dank ihrer Brutalität. Mit unerbittlichster Grausamkeit gingen sie gegen jedes Wesen vor, das es wagte, sich ihnen zu nähern. Sie griffen an. Und sie gewannen immer. Meistens töteten sie völlig grundlos. Und nicht selten waren Teile dieser Wesen Bestandteile ihrer und seiner nächsten Mahlzeit. Roh wie die Yetis selbst.
Nur eines fürchteten sie: Die warmen, gelben Lichter, die es schafften, das Eis, das sie liebten, zurück zu drängen. Zumindest oberflächlich. Es gab etwas, das den Anschein hatte, das alles tötende, ewige und mächtige Eis zu besiegen. Es leuchtete ein, dass dieses Ding mächtiger sein musste als alles andere. Sie fürchteten es zurecht.
Doch er nicht. Im Alter von sechs Jahren sah es zum ersten Mal. Es zog ihn an, wie etwas kleine Kinder umso mehr anzieht, je verbotener es ist. Es war nur ganz kurz und weit weg. Doch seine Mutter zog ihn mit einem entsetzten Kreischen weg und eilte davon. Doch das Licht ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Im Alter von zehn Jahren war er einmal allein zwischen den Hängen unterwegs, natürlich nicht weit weg vom Stamm, zu unsicher war die Gegend für ihn. Doch er konnte sich einer Gruppe Menschen nähern, die ein solches Licht trug. Er verstand es nicht: Sie schienen eine Macht über das Mächtigste zu haben und ihm sogar befehlen zu können, ihnen auf einem Stock sitzend zu folgen. Das musste er genauer sehen und vergaß alle Vorsicht. Er folgte der Gruppe auf sicherer Entfernung. Er sollte nie wieder zurückkehren.
Von den Yetis hatte es sich einiges abgeschaut. Natürlich auch, wie man sich im Schnee bewegt und wie man sich nahezu unsichtbar machen kann. Doch es war das Eine, dies in sicherem Umfeld zu tun, etwas ganz Anderes, dies hier in der eisigen Hölle immer weiter weg von den schützenden Höhlen zu tun, nur bedeckt mit ein paar Lumpen toter Tiere. Die Kälte, die nun in seine Glieder kroch, machte ihn unvorsichtig.
Es ging nun sehr schnell. Die aufmerksame Gruppe bemerkte ihn, an seinem Atem und den immer unsicher werdenden und damit geräuschvolleren Schritten. Sie gingen direkt in Angriffsstellung. Auch wenn er sich nach Leibeskräften wehrte – wie er es bei seinem Stamm lernte, biss, fauchte, kreischte, überwältigten ihn die Männer beinahe mühelos und setzten schnell zum Todesstoß an, ohne mit der Wimper zu zucken.
Doch ein Mann stellte sich schützend vor ihn. Mit Ästen und Pflanzenresten bekleidet, in der Hand einen seltsamen Stock, mit Tierschädeln gespickt, erkannte dieser in ihm keines der üblichen Wesen dieser Todesgegend.
Schreibe einen Kommentar